Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
Gehirn. Ob es möglich war, Rückschlüsse auf ihre Funktionen zu ziehen, wenn man sie zerschnitt?
    »Fürchtet er nicht, dass Gott ihm seine Neugier übelnimmt?«, fragte sie.
    Arnulf rümpfte die Nase. »Jeder andere Mensch würde es.« Er legte den Kopf schief, überlegte, dann nickte er. »Doch. Ich glaube, er tut es auch.« Er biss in den Apfel und kaute.
    »Ich glaube, das ist der wahre Grund für seine Forschungen.« Katharina rief sich den Ausdruck in Richards Augen ins Gedächtnis. Diese Mischung aus Fanatismus und Traurigkeit.
    Arnulf schaute sie an, und sie führte aus, was sie meinte: »Er tut es, um sich selbst zu bestrafen. Für Magdalenas Tod. Er fühlt sich schuldig an ihrem Tod, und weil er es nicht rückgängig machen kann, glaubt er, er müsse etwas opfern, das Magdalenas Leben genügt.«
    »Sein Seelenheil.« Arnulf hustete, weil ihm ein Apfelstück in den falschen Hals geraten war.
    Katharina nickte. Sie kannte den Wunsch, sich selbst mit größtmöglicher Härte zu bestrafen für das, was sie ihren Liebsten angetan hatte.
    »Und vergib uns unsere Schuld!« Nachdem er wieder Luft bekam,aß Arnulf seinen Apfel weiter, und Katharina hatte das Gefühl, dass er die Schlüsse, die sie soeben vor ihm ausgebreitet hatte, bereits vor langer Zeit gezogen hatte.
    Katharina nahm eine Haarsträhne zwischen die Finger und begann sie zu zwirbeln. Wieder schwiegen sie, in Gedanken versunken.
    »Dieser Sebald Groß«, unterbrach diesmal Arnulf die Stille. »Erzählt Ihr mir, was bei seiner Verhaftung geschah? Ich meine, ich habe gehört, dass er sich selbst gerichtet hat, aber warum?«
    »Er hatte Angst davor, gefoltert zu werden.«
    »Verständlich. Aber Selbstmord?«
    »Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Die Folter meine ich.« Katharina erzählte Arnulf, davon, wie Sebald in Padua des Mordes verdächtigt worden war. Sie sprach von Sebald und seinem verschwundenen Bruder, von den anatomischen Forschungen der Gebrüder Schedel, von den Versuchen mit dem Schwan und seinem plötzlichen Erwachen auf dem Seziertisch, von dem Wahnsinn, der Sebald danach erfasst hatte. »Er war schon vorher leicht geisteskrank gewesen«, endete sie. »Wegen dieser Krankheit, die er früher einmal hatte. Antoniusfeuer.«
    Mit einem Ruck fuhr Arnulf hoch. »Antoniusfeuer?« Seine Augen waren groß und wirkten erschrocken. Unendlich langsam stand er aus seinem Sessel auf und kam zu Katharina herüber. In seinen Augen leuchtete es. Er bemerkte erst jetzt, dass er den halb aufgegessenen Apfel noch in der Hand hielt, warf ihn achtlos zurück in die Schale und fiel dann vor Katharina auf die Knie. Er griff nach ihren Händen. »Wisst Ihr, was Ihr da sagt?«
    Erschrocken schüttelte sie den Kopf und forschte in seinem Gesicht nach Anzeichen, dass auch er jetzt den Verstand verlor. Doch er ließ sie los, presste sich beide Handballen auf die Augen, und als er sie wieder fortnahm, sah er völlig gesund aus.
    Er sprang wieder auf die Füße, lief zu Pömers Schreibpult und fuhr mit dem Zeigefinger über die Zeilen auf dem obersten Blatt von Pömers Aufzeichnungen. »Elementa minora aut comunia, arteriae maximae ...« , las er. Dann warf er das Blatt achtlos fort. Mit dem zweiten und dritten verfuhr er ganz ähnlich, doch beim viertenschien er endlich gefunden zu haben, was er suchte. »Ha!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Papierstapel. Dann nahm er das Blatt, drückte es Katharina in die Hand, die inzwischen hinter ihn getreten war. »Nehmt das, bringt es zu Hartmann Schedel«, rief er. Er klang jetzt atemlos vor Eile. »Sagt ihm, dass es von Pömer stammt, dann wird er wissen, was zu tun ist.«
    »Ja, aber ...« Unsicher starrte Katharina auf das Blatt.
    »Kein Aber! Eilt Euch!« Arnulf zog sein Schwert, und das ließ Katharina erbleichen. »Sagt ihnen, das Antoniusfeuer ist die Verbindung! Sagt Ihnen, sie sollen durch die Lochwasserleitung in Richtung Burgberg gehen – mit einer Handvoll Stadtbüttel! Sie werden dann wissen, wohin. Schnell! Es kann sein, dass Richard in großer Gefahr ist!« Während er sprach, schob er Katharina zur Haustür.
    Jetzt stieß er sie auf den Hausstein hinauf. »Los doch!«, schrie er sie an.
    Verdutzt blieb sie noch einen Moment stehen, aber als sie sah, wie er sich umwandte und mit der Schulter gegen die Kellertür warf, um sie aufzubrechen, sprang sie die Stufen hinunter und rannte los.

25. Kapitel
    »Sterner!«
    Etwas krallte sich in die weiche Haut an seinem Unterkiefer, und Richard versuchte,

Weitere Kostenlose Bücher