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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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erwärmte Wasser und rieb sich Blut und Schmutz von der Haut. Er brauchte eine Weile, bis er das Gefühl hatte, sauber zu sein, und als er fertig war, war ihm der Appetit vergangen. Nachdenklich betrachtete er die feinen Schlieren, die seine Waschung in dem klaren Wasser hinterlassen hatte.
    Und dann traf es ihn wie ein Schlag auf den Kopf.
    Dunkles, kaltes Wasser ... blutige Schlieren ... bleiche Knochen, die sanft hin- und herschwebten ...
    Mit beiden Händen musste er sich an der Brunnenumrandung abstützen. Sein Oberkörper kippte nach vorn, und nur mit Mühe blieb er auf den Beinen. In seinen Ohren rauschte es, er konnte den Druck spüren. Den Druck des Wassers.
    Der Anfall ging so schnell vorüber, wie er gekommen war. Der Druck verschwand und auch die Bilder. Schwerfällig richtete Richard sich wieder auf. Er begegnete dem neugierigen Blick eines kleinen Mädchens, das seine Schwäche bemerkt hatte, und mühte sich um ein beruhigendes Lächeln. In den kindlichen, weit aufgerissenen Augen stand Sorge.
    Dann wurde das Mädchen am Arm gepackt und fortgezogen.
    Richard hörte, wie seine Mutter es anzischte: »Du sollst doch nicht immer stehen bleiben, wenn so ein Betrunkener vorbeikommt!« Der verächtliche Blick der Frau brannte in Richards Gesicht, doch er zwang sich, ihm standzuhalten. Er straffte die Schultern. Seine Hände waren noch immer nass. Er hob sie und fuhr sich mit ihnen durch die wirren Haare. Dann hielt er inne und betrachtete seine ausgestreckten Finger.
    Sie zitterten.
    »Oh, Magdalena«, flüsterte er. »Ich bin erneut erfolglos gewesen!« Er wandte sich um und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Brunnen. Seine Knie zitterten ebenso wie seine Hände, und er ließ sich rücklings an den goldenen Ornamenten hinabgleiten, bis er auf seinen Fersen hockte.
    Vor seinem inneren Auge beschwor er den Anblick des Lungenflügels herauf, den er vorhin dem toten Jungen aus dem Brustkorb entnommen hatte. Dieser weißliche Schaum ... Richard schüttelte den Kopf.
    Warum war dieser Schaum bei der Frau vor einem Jahr nicht dagewesen? Ihre Lunge hatte er zusammengefallen und schrumpelig in ihrem Brustkorb vorgefunden. Was hatte das zu bedeuten? Er zermarterte sich den Geist über dieser Frage, aber er kam zu keinem Ergebnis. Schließlich musste er sich eingestehen, dass er seinem Ziel, ein Mittel zur Rettung Ertrinkender zu finden, keinen einzigen Schritt näher gekommen war.
    »Sieht so aus, Magdalena, als hätte ich mein Seelenheil vergeblich aufs Spiel gesetzt.«
    Mühsam erhob er sich.
    Die verbliebene Zeit strich er ruhelos um die Häuser und versuchte, seinen Kopf vom Grübeln abzuhalten. Dann endlich schlug der Türmer von St. Sebald die siebte Stunde, und im Abstand von wenigen Augenblicken antworteten ihm die drei anderen auf St. Lorenz, auf dem Laufer Schlagturm und auf dem Weißen Turm.
    Richard unterdrückte ein Seufzen.
    Es war an der Zeit, Jörg Zeuner aufzusuchen.
    Der Saalbau des Rathauses hatte an seiner Ostseite einen türmchenbewehrten Giebel, ganz ähnlich wie die Frauenkirche am Fischmarkt, jedoch bei weitem nicht so prachtvoll. Richard warf einen kurzen Blick daran in die Höhe und sah auch an dem dreifenstrigen Chörlein empor, das aus der Fassade ragte und für das wuchtige Gebäude viel zu klein wirkte.
    Dann durchquerte er die Lochgasse und achtete dabei darauf, nicht auf die in das Pflaster eingelassenen Gitter zu treten, die in die Verliese unter der Erde führten. Er nahm seinen Hut ab, erklomm die Steintreppe zum Rathaussaal und fand sich in einem breiten Gang wieder, aus dem linkerhand eine große, reich verzierte Doppeltür abging. Hier herrschte nach der mittäglichen Pause das übliche Durcheinander. Ratsmitglieder standen beieinander und diskutierten über Fragen der Stadtführung, Schreiber hasteten in den Saal hinein und wieder heraus und verschwanden rechterhand durch einen Bogen, hinter dem eine Treppe ins Obergeschoss führte.
    In seiner schlichten, aber teuren Nürnberger Bürgerstracht fiel Richard hier nicht auf, und es gelang ihm, einige der Gesprächsfetzenaufzuschnappen. Zu seiner Überraschung drehten sich die meisten nicht um den Mord in der Lochwasserleitung, sondern man sprach hauptsächlich über eine Ratsversammlung, in der es darum gegangen war, der Familie der Stromer eines ihrer Ratsmandate zu entziehen.
    »Es ist nun einmal so, dass jede Familie nur einen Sitz im Rat haben soll«, hörte Richard einen der Männer sagen, und ein anderer hielt ihm entgegen:

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