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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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die sonst nie hierher kamen und jetzt aber Hilfe brauchten. Sie fragte sich auch, ob diese Menschen hier den Trost fanden, den sie suchten.
    Der Priester war ein beleibter Predigermönch mit einer näselndenStimme. Er trug einen ebenholzschwarzen Rosenkranz am Gürtel, der bei jeder seiner Bewegungen hin- und herpendelte.
    Katharina ließ die Liturgie über sich hinwegrauschen, ohne viel davon zu erfassen. Sie sprach die nötigen Formeln an den richtigen Stellen, sie kniete nieder und erhob sich an den richtigen Stellen, aber mit den Gedanken war sie nicht bei der Sache. Erst als der Priester seine Stimme erhob und statt eines lateinischen Textes aus den Evangelien eine Übersetzung einer Bibelstelle zitierte, wurde sie aufmerksam.
    »Der Herr stellte vor dem Garten Eden die Cherubim auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachen« , sagte er.
    Katharinas Kopf zuckte hoch. Plötzlich war sie hellwach, und auch die anderen Menschen, die weiter vorn saßen, schienen von einer Art Unruhe erfasst. Einige steckten die Köpfe zusammen und flüsterten. Der Mönch schaute die Leute streng an.
    »Ihr wisst, warum ich die vorgeschriebene Lesung durch diesen Satz aus dem Alten Testament ersetzt habe, nicht wahr?« Er ließ die Frage einen Moment in der Luft stehen, dann begann er mit einer Predigt, die vom Sündenfall Adams und Evas handelte und davon, wie sehr der Mensch Gott durch sein Tun enttäuscht und wie sehr er sich selbst dadurch vom Licht in die Finsternis begeben hatte.
    Katharina mühte sich, den Worten zu folgen, aber es gelang ihr nicht. Immer wieder schaute sie in das Gesicht des Priesters, und obwohl sie so weit entfernt von ihm saß, hatte sie den Eindruck, er sei ängstlich und fahrig. Immer wieder rieb er sich mit der flachen Hand über Mund und Kinn. Und immer wieder schweiften seine Blicke unruhig über die versammelten Menschen.
    Schließlich hielt Katharina sein Gerede von Schuld und Sünde nicht mehr aus. Leise erhob sie sich und schlich zum Ausgang. Sie glaubte zu spüren, wie sich der Blick des Mönches in ihren Rücken bohrte. Es war ungehörig, die Kirche vor der Erteilung des Segens, ja sogar noch vor der heiligen Eucharistie zu verlassen.
    Es war ihr egal.
    Draußen atmete sie tief durch und ließ sich dann auf die oberste Treppenstufe sinken. Die Sonne war inzwischen über die erstenDächer geklettert und übergoss die Stadt mit ihrem Gold, doch dort, wo Katharina saß, ruhten noch immer morgendliche Schatten. Vom Kirchhof hinter ihr roch es schwach nach frisch aufgeworfener Erde.
    Plötzlich fiel Katharinas Blick auf vier Männer, die sich am Fuße der Treppe versammelt hatten und in angespannter Haltung dastanden. Sie waren in weitfallende weiße Hemden gekleidet. Katharina zog die Knie an, umschlang sie mit den Armen und legte die Stirn darauf.
    Erst als die Kirchenglocken das Ende der Frühmesse ankündigten, begriff sie, dass sie erneut in ihre melancholia verfallen war. Mühsam hob sie den Kopf.
    »Es geht los!« Durch den Hall der Glocken waren die drei Worte kaum zu verstehen, die einer der Männer hervorstieß.
    Die Vier öffneten ihre Hemden am Halsausschnitt und ließen sie über Schultern und Rücken nach unten gleiten, so dass ihre Oberkörper jetzt nackt waren. Auf einmal hatte ein jeder von ihnen einen Stock in der Hand.
    Katharina runzelte die Stirn.
    Nein, es waren keine Stöcke, sondern es waren kurze, kräftige Peitschen mit mehreren Schnüren. Die Kirchentüren öffneten sich, und die Messebesucher traten blinzelnd ins Sonnenlicht.
    »Hört, Ihr Leute!«, rief einer der Männer und wartete, bis er sich der Aufmerksamkeit der Menschen sicher war. »Kommt und hört zu, denn das Ende der Welt ist nahe!« Die Peitsche zischte durch die Luft, schwang über seine Schulter und klatschte mit einem feuchten, bösartigen Geräusch auf seinen bloßen Rücken.
    Katharina keuchte auf.
    »Der Teufel schickt seine Dämonen, um uns zu verderben!«
    Wieder traf Leder auf bloße Haut, diesmal bei allen vier Männern gleichzeitig. Blutspritzer netzten in einem weiten Bogen das Straßenpflaster und die Treppenstufen vor Katharinas Füßen.
    Sie sprang auf.
    »Selbst die himmlischen Heerscharen sind nicht gefeit gegen die Bedrohung durch das Böse!«
    Diesmal stöhnten die unfreiwilligen Zuschauer ringsherum auf, als die Peitschen erneut zuschlugen. Von irgendwo her erklang ein leisegemurmeltes Gebet. Katharina sah, dass sich etliche der Menschen ringsherum

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