Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
Richard. Er forschte in Zeuners Gesicht nach einem Hinweis darauf, warum der Mann ihn abgefangen hatte. Wusste er bereits von dem geheimen Gang und spielte ein Spielchen mit ihm?
    »Sagen wir, mich interessiert Eure Meinung in Bezug auf den Mord. Hat der Lochwirt Euch von den Flügeln erzählt?«
    »N... ja.« Fast hätte Richard die Frage verneint, aber offenbar wusste Zeuner nichts davon, dass er auch im Kloster gewesen war. Er beschloss, es vorerst auch dabei zu belassen.
    Zeuner schürzte die Lippen. Eine Weile ging er schweigend neben Richard her, und im Gegensatz zu Richard schien ihm die Stille nichts auszumachen.
    Inzwischen konnte man kaum noch etwas sehen. Hinter ihnen läuteten die Glocken von St. Sebald das Ende der Spätmesse. Die Schläge dröhnten hohl durch die abendliche Stille, aus einer Seitengasse erklang helles Gelächter, das jedoch von einer zufallenden Türabgeschnitten wurde. In der sich nur langsam abkühlenden Luft verstärkten sich die Gerüche des Viertels sprungartig. Es roch nach gekochtem Essen, nach Urin und Schweinen.
    »Nun?«, hakte der Bürgermeister endlich nach. »Ihr seid medizinisch gebildet. Was haltet Ihr von dem Mord?«
    Richard beschloss, das Spiel mitzuspielen. Ohnehin blieb ihm nicht viel anderes übrig. »Ich glaube, dass der Mörder mit den Flügeln eine Botschaft übermitteln will.«
    Zeuner blieb stehen und sah ihn an. Seine Augen lagen in tiefen Schatten, doch irgendwie kam es Richard so vor, als würde er belustigt gemustert.
    »Eine Botschaft. So, so.«
    Plötzlich hatte Richard das starke Gefühl, dass der Bürgermeister ihn verdächtigte.
    »Kanntet Ihr den Ermordeten?«, fragte Zeuner. »Oder den Verdächtigen?«
    Richard schüttelte den Kopf.
    »Kennt Ihr eine Frau namens Katharina Jacob?«
    Richard zuckte zusammen und wusste im gleichen Moment, dass er sich verraten hatte, dass Leugnen nichts mehr nützen würde. »Ja«, gab er darum zu, in der Hoffnung, Zeuners Aufmerksamkeit rasch wieder von Katharina ablenken zu können.
    »Eine Hübsche, nicht wahr? Wusste Ihr übrigens, dass sie als Hexe angezeigt wurde?«
    »Warum erzählt Ihr mir das?«
    »Nun, die Stadt befindet sich in einer, sagen wir, heiklen Lage. Die Menschen sind verängstigt durch diesen seltsamen Toten in der Lochwasserleitung. In den letzten Tagen sind mehrere Anzeigen wegen Hexerei beim Rat eingegangen. Und Euch sollte klar sein, dass die Gefahr, dass auch Eure ... Studien als Hexenwerk angesehen werden könnten, in den letzten Tagen sprunghaft angestiegen ist.«
    »Ist das eine Warnung?«, fragte Richard.
    »Nehmt es als guten Rat. Ich weiß, dass Euch der Wunsch nach Erkenntnis antreibt, die Dinge zu tun, die Ihr dort unten in Pömers Keller tut. Bei Gott, mich selbst hat ja die Neugier eine Weile langebenso dazu getrieben! Aber die Zeiten ändern sich. Ich wollte nur, dass Euch das klar ist.«
    »Wir sind uns der Gefahr sehr bewusst, seid versichert.«
    Zeuner warf Richard einen Seitenblick zu. »Und ist Euch auch bewusst, dass Ihr, solltet Ihr wirklich der Leichenzauberei angeklagt werden, wahrscheinlich nicht mit einer Verbannung oder einem einfachen Brandmal auf der Stirn davonkommen würdet? Es gibt da so ein neues Werk über die Verfolgung und Richtung von Zauberern und Hexen ...« Zeuner schüttelte bedauernd den Kopf. »Unschön, mein Lieber, sehr unschön!«
    Sie erreichten die Stadtmauer, die an dieser Stelle zu einer Bastei ausgebaut worden war. Rechts daneben ragte ein Torturm in die Nacht, dessen Fenster von Fackellicht erleuchtet waren. Zeuner blieb stehen, betrachtete die kleinen, schießschartenartigen Öffnungen und kehrte dann um. Gemeinsam gingen sie den Weg zurück, den sie gekommen waren.
    Richard dachte an Pömers Forderung. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, Zeuner gegenüber zu behaupten, dass er Faro in seiner Zelle bei geistiger Gesundheit vorgefunden hatte. Er zog die Oberlippe zwischen die Zähne und kaute darauf herum, bis er den metallischen Geschmack von Blut schmeckte.
    Inzwischen hatten sie den Platz vor St. Sebald wieder erreicht. Es war jetzt vollständig dunkel geworden, und nur noch wenige Menschen befanden sich in den Straßen. Ein Nachtwächter kam mit schwankender Laterne über den Platz, leuchtete ihnen in die Gesichter, grüßte knapp und ging vorüber.
    Vor der Kirche blieben sie stehen, und Zeuner streckte die Hand aus.
    »Gute Nacht«, wünschte er. »Es war ein sehr anregendes Gespräch.« Er wollte sich bereits abwenden, als ihm etwas einfiel.

Weitere Kostenlose Bücher