Seraphim
Buch zu sprechen.« Er schluckte. »Genauer gesagt, um uns seine Benutzung ans Herz zu legen.«
Zeuner faltete die Hände und stützte die Ellenbogen auf dem Pult ab. »Korrigiert mich, wenn ich mich irre, aber ist nicht die Inquisition allein zuständig für die Verfolgung von Ketzern?«
Claudius nickte. Sein Gesicht war voller Falten. »Ich weiß, was Ihr mir als Nächstes sagen werdet: dass die Verfolgung von Zauberei in der Stadt Sache des Inneren Rates ist, stimmt es?«
Zeuner nickte ebenfalls.
Claudius beugte sich vor. »Das war es bisher. Die heilige Inquisition jedoch ist der Meinung, dass in dieser Zeit eine neue Ketzersekte entsteht.«
»Die der Hexen und Zauberer! Ihr wollt mir also sagen, dass die Inquisition dabei ist, die Gerichtsbarkeit über die Zauberei an sich zu reißen?«
»So ausschließlich würde ich es nicht ausdrücken, aber ja.«
»Diese Mordfälle in Eurem Kloster. Mir ist klar, dass Ihr alles in die Wege geleitet habt, um den Täter seiner gerechten Strafe zuzuführen ...«
»Die Morde geschahen auf kirchlichem Boden. Für sie ist der Rat nicht zuständig«, warf Claudius ein.
Zeuner wiegte den Kopf. »Nun, darüber zu entscheiden wird nicht meine alleinige Aufgabe sein. Als ich bei Euch war, da waren die Männer doch bereits tot, oder? Warum habt Ihr mir nicht da schon von ihnen erzählt?«
»Weil ich erst einige Anweisungen einholen musste. Jetzt ist man jedoch der Meinung, dass die Bedrohung durch die Hexen zu groß ist, um Euch nicht alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit anzubieten, die es gibt.«
Johannes begriff, dass der Grund für Prior Claudius’ Meinungsänderung nicht irgendeine Anweisung von Ordensoberen war, sondern das Auftauchen der Engelleiche. Hatte Prior Claudius bisher dem Inhalt des Hexenhammers eher skeptisch gegenübergestanden, so schien der geschändete Tote seine Meinung ins Gegenteil verkehrt zu haben.
In diesem Moment klopfte es, aber niemand im Raum achtete darauf.
Claudius seufzte. »Die Menschen tuscheln über Hexerei und Dämonen. Ich vermute, die Anzeigen von Hexenwerk haben sich seit dem Bekanntwerden dieses Mordes in der Wasserleitung sprunghaft gesteigert, oder?«
»Es gibt einige Anzeigen, ja«, gab Zeuner zu.
»Und? Geht Ihr ihnen nach?«
»Natürlich. Aber der Mord ist im Moment wohl wichtiger. Wenn wir ihn aufklären, dann wird sich Nürnberg von selbst wieder beruhigen.«
Claudius stemmte sich in die Höhe. »Ich bin sicher, Ihr macht Eure Arbeit gut«, sagte er. »Dennoch bitte ich Euch: Verstärkt Eure Anstrengungen, diese der Zauberei angeklagten Menschen festzusetzen. Und solltet Ihr einen von ihnen gefangen haben, so wäre ich Euch dankbar für die Erlaubnis, mit ihm reden zu dürfen.« Er nahmdas Buch an sich, warf einen düsteren Blick darauf und wollte sich zum Gehen wenden.
In diesem Augenblick klopfte es zum zweiten Mal, und dann wurde die Tür geöffnet.
* * *
Richard hatte den Vormittag damit verbracht, in seinem Studierzimmer herumzuwandern und die Erinnerung an seine Alpträume zu vertreiben. Schließlich hielt er es drinnen nicht mehr aus.
Er verließ sein Haus in der Tuchgasse, um einen klaren Kopf zu bekommen. Doch er kam nicht weit. Kaum auf dem Großen Marktplatz angelangt, wurde er von einer Menschenmenge aufgehalten. Er versuchte, sich an den dicht gedrängt stehenden Leibern vorbeizuzwängen, aber er blieb zwischen ihnen stecken und konnte nun einen Blick auf den Grund für die Versammlung werfen.
Flagellanten!
Zu viert standen sie auf dem Pflaster, zeigten den Menschen ihre blutüberströmten zerrissenen Rücken, während einer von ihnen mit lauter Stimme von Buße und Vergebung predigte. Dabei drehte der Mann sich langsam im Kreis, fasste so viele der Herumstehenden ins Auge, wie er nur konnte. Auf manchen ruhte sein Blick ein wenig länger, und einige Frauen reagierten darauf. Mit zögernden Schritten lösten sie sich aus der Menge und traten zu der Gruppe der Geißler hinzu.
Eine von ihnen trug in einem Tuch ein vielleicht zweijähriges Mädchen bei sich, und die Kleine stierte mit weit aufgerissenen Augen auf die zerfetzten Rücken der Männer. Hastig stopfte sie den Daumen in den Mund und begann daran zu nuckeln. Immer wieder wandte sie dabei den Kopf von links nach rechts, von den blutüberströmten Geißlern hin zu ihrer Mutter. Die Verwirrung und die Angst in der Miene dieses Kindes ließen Richard eine leise Verwünschung murmeln.
Was war nur los in dieser Stadt?
»Bittet den Herrn um
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