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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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bekreuzigten.
    »Tut Buße!« Der Geißler schrie jetzt. Seine Stimme brach, als das Leder ihn traf, danach mischte sich ein schrilles Kreischen in seine Worte: »Tut Buße und fleht den Herrn um Vergebung an, damit er Euch nicht in die finstersten Tiefen der Hölle stürzt! Denn ihr seid Sünder allesamt, und verderbt ist Euer Fleisch, das gezüchtigt werden muss ...«
    Der nächste Schlag wurde von einem langgezogenen Kyrie eleison aus den Kehlen der Geißler begleitet. Das Blut rann ihnen jetzt in Strömen über die zerrissenen Rücken, nässte die weißen Hemden, die um ihre Hüften hingen. Gegen ihren Willen riefen die Mahnungen des Mannes Unbehagen und Zweifel in Katharina wach. Was, wenn er recht hatte?
    Sie würgte.
    Bemüht, den Geißlern nicht zu nahe zu kommen, stolperte sie die Treppenstufen hinab. Doch sie war nicht schnell genug. Zwar wich sie den Peitschenschnüren aus, aber einige Blutstropfen lösten sich von dem fliegenden Leder und landeten in ihrem Gesicht. Sie spürte, wie ihr Magen sich umdrehte.
    Eine Hand hielt sie sich schützend vor den Mund, um sich nicht mitten auf der Straße zu übergeben, mit dem Ärmel der anderen rieb sie sich wie besessen über die beschmutzte Haut, während ihre Füße sie in fliegender Hast von diesem grauenvollen Ort forttrugen. Das Geschrei des Geißlers und die Kyrie -Rufe hallten ihr nach. Kurz bevor beides hinter ihr verklang, glaubte sie noch, die Menge in die Litanei einfallen zu hören.
    * * *
    Das Morgenläuten, mit dem die Glocke von St. Sebald den Sonnenaufgang ankündigte, drängte sich in Richards Schlaf, vermochte aber nicht, ihn aus seinem Alptraum zu reißen.
    In seinem Traum wurde das Dröhnen der Glocke zur Stimme des Richters, und die Worte hämmerten auf Richard ein und ließen ihn wanken.
    Der Rat hat beschlossen, Cesare Vasari der verschärften peinlichenBefragung zu unterziehen, um ihn endlich zu einem Geständnis zu bringen.
    Richard stand inmitten einer schweigenden Menge und starrte den blutenden und gebückt dastehenden Mann an, der den Blick anklagend auf ihn geheftet hatte. Er wollte aufbegehren, wollte die Hand heben und auf sich selbst zeigen – nein, er ist der Falsche, nehmt mich an seiner Statt, denn ich bin der Mörder, den ihr sucht – , aber er konnte sich nicht rühren. Vor Angst waren seine Glieder schwer wie Blei, und er stand bewegungslos da, während die Richtknechte Vasari an den Schultern packten und ihn zurück in die Tiefen des Loches zerrten.
    Kurz bevor die Dunkelheit ihn verschluckte, riss er sich los. Mit ausgestreckter Hand wies er in die Menge, und Richard folgte seinem Fingerzeig.
    Dort, zwischen den anderen Schaulustigen, war sie.
    Magdalena.
    Richards Schwester.
    Und sie schaute vorwurfsvoll genau in seine Augen. Wasser rann ihr aus den Haaren, ihre Haut war wachsbleich, und mit der Klarheit eines Traumes konnte Richard die blauen Halbmonde erkennen, die sich auf ihren Fingernägeln gebildet hatten.
    »Siehst du sie?«, kreischte Vasari. »Siehst du ihren Geist?« Er wurde wieder gepackt und in das Loch gezerrt.
    Dann änderte sich Richards Traum schlagartig.
    Tiefe, eisige Dunkelheit umhüllte ihn nun, und er hatte das Gefühl, in einem brackigen Tümpel zu schweben, ohne dass er die rettende Oberfläche erreichen konnte. Das Atmen fiel ihm schwer, und immer wieder hob sich sein Brustkorb nur mühsam und unter Schmerzen. Er wusste, dass dort unten irgendwo die bleichen Knochen auf ihn warteten.
    Und dann schallte eine helle Kinderstimme durch die Dunkelheit. »Richard, komm, wir wollen spielen!«
    Er öffnete den Mund, doch er brachte nichts hervor außer einem erstickten Gurgeln.
    »Richard!«, rief Magdalena wieder. »Lass uns schwimmen gehen!«
    Nein!
    Er wollte sich aufbäumen, wollte seine kleine Schwester warnen, denn er wusste, dass das Wasser sie töten würde. Doch er konnte nichts dagegen tun, dass sie lachend vor ihm davonlief.
    Dann ein Platschen.
    Ein Gurgeln. »Richard, was tust du?«
    »Magdalena!« Mit einem langgezogenen Schrei fuhr Richard aus dem Traum auf.
    * * *
    Als Katharina endlich stehenblieb und sich an den Rand eines Brunnens lehnte, bemerkte sie, dass sie bis in die südlichsten Viertel der Stadt gerannt war. Schweratmend tauchte sie ihre Hände in einen Eimer, den jemand halbvoll auf dem Brunnenrand stehengelassen hatte. In der Kälte, die sich auf ihre Haut legte, konnte sie an den Handgelenken das Klopfen ihres Blutes deutlich spüren.
    Sie setzte sich auf den Brunnenrand und

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