Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
Vom Netzwerk:
seinen Computer nicht ausgeschaltet, und siehe da, kaum drückte ich auf eine Taste, wurde der Bildschirm hell. In großen Buchstaben stand untereinander immer wieder der gleiche Satz:
    ICH WILL NICHT LEBEN
    ICH WILL NICHT LEBEN
    ICH WILL NICHT LEBEN
    ICH WILL NICHT LEBEN
    ICH WILL NICHT LEBEN
    ICH WILL NICHT LEBEN
    Mit der Maus verschob ich die Seite und stellte fest, dass der Satz viele Hundert Mal dastand. Hunderte von Hilfeschreien. Hunderte von Schlägen.
    »Was fummelst du an meinem Computer?«
    Instinktiv riss ich die Arme vor die Brust und musste tief durchatmen, bevor ich sagen konnte: »Gar nichts. Ich wollte ihn nur ausmachen.«
    Während ich erstarrt dastand, griff Kerem verlegen nach der Maus.
    »Das mache ich schon«, sagte er.
    Routinemäßig klickte er ein paarmal herum, und ich sah noch,wie er auf die Frage, ob der Dateninhalt gespeichert werden sollte, mit Nein antwortete.
    Ich packte Kerem und umarmte ihn heftig. Er wollte mich von sich schieben, doch das ließ ich nicht zu.
    »Auf der ganzen Welt mag dich niemand so sehr wie ich, das weißt du doch, oder? Ich mag dich ganz furchtbar.«
    Er antwortete nichts.
    »Ich würde alles für dich geben, auf der Stelle.«
    »Lass mich los!«
    »Nein. Ich brauche dich.« Ohne nachzudenken, redete ich drauflos. »Ich brauche dich. Ich habe nämlich Ärger.«
    Auf einmal versuchte er nicht mehr, mich wegzuschieben.
    »Was ist denn los?«, fragte er leise.
    »Ich werde verfolgt.«
    »Von wem?«
    »Ich weiß nicht, wer die Leute sind. Es sind drei gefährliche Männer in einem weißen Renault.«
    »Und warum verfolgen sie dich?«
    »Das weiß ich nicht. Aber gerade ist ein Professor da, aus Amerika, wahrscheinlich hat es mit dem zu tun. Ich habe solche Angst.«
    Als ich die Sache mit erfundenen Details ausschmückte, nahm Kerems Interesse sichtlich zu.
    »Heute Abend muss ich mit dem Professor essen gehen. Sperr die Tür gut zu und lass niemanden herein. Und schau hin und wieder aus dem Fenster, ob nicht ein weißer Renault unten steht.«
    »Mach ich«, sagte Kerem und setzte sich aufrechter hin. Seiner Stimme war anzuhören, wie aufmerksam er auf einmal war.
    »Vielleicht wollen sie ja auch in die Wohnung, aber zum Glück bist ja du da. Bist ein kräftiger Junge, und Aikido hast du auch gemacht.«
    Aus der Schublade seines Nachtkästchens nahm Kerem daraufhin einen Metallgegenstand, der aussah wie aneinandergeschmiedete Ringe. Er steckte sich das Ding auf die Hand.
    »Was ist das denn?«, fragte ich.
    »Ein Schlagring.«
    Verblüfft sah ich ihn an.
    »Wenn du mit dem zuschlägst«, erklärte er, »haust du dem anderen die Fresse platt.«
    Was hatte so ein Ding in der Schublade meines Sohnes zu suchen?
    »Und wozu hast du den?«
    »Für die Schule. Damit ich mich wehren kann.«
    Er brachte einen kindlichen Ernst auf für jenes Spiel mit den gefährlichen Männern im weißen Renault. An mir nagte die Sache mit dem Schlagring. Warum glaubte er, dieses Ding nötig zu haben? »Da fällt mir was ein«, sagte ich und stand auf.
    Ich lief ins Schlafzimmer hinüber und holte aus meiner Tasche das Pfefferspray, ohne das ich nie aus dem Haus ging.
    »Wenn sie kommen, dann sprühst du ihnen das da in die Augen.«
    Kerem blühte auf.
    »Darf ich das behalten?«
    Offenkundig wollte er es in die Schule mitnehmen.
    »Du weißt aber, dass das verboten ist, oder?«
    »Was ist verboten?«
    »Na ja, so was in der Schule dabei zu haben.«
    »Ich zeige es ja niemandem.«
    »Na gut!«, sagte ich und küsste ihn auf die Wange, und er wehrte sich nicht einmal.
    Beschwingt ging ich in die Küche und wärmte in der Mikrowelle das Adana Kebap auf. Es duftete herrlich, und ich freute mich, meinem Sohn etwas Leckeres zu bieten.
    »Kereeem!«
    Es genügte tatsächlich ein einziger Ruf.
    »Iss aber alles auf, ja?«, sagte ich. »Schließlich bereiten wir uns auf einen Kampf vor.«
    Ich ging ins Schlafzimmer und holte mein schulterfreies schwarzes Kleid aus dem Schrank. Es war etwas freizügig geschnitten, aber mit einer Halskette würde es diskreter wirken.
    Beim Aufsperren des kleinen Safes fiel alle Hektik von mir ab. Geradezu feierlich holte ich die Kette aus ihrer weinfarbenenSamtschatulle heraus. Das Kreuz, das danebenlag, ließ ich an Ort und Stelle. Die Diamanten und Rubine an der Kette funkelten. Ich legte die Kette an und betrachtete mich damit im Spiegel. Ich fühlte mich verwandelt und verzaubert.
    Dadurch angestachelt legte ich mir Lidschatten, Wimperntusche und Lippenstift auf.

Weitere Kostenlose Bücher