Serenade für Nadja
Er trug den Schlagring an der Hand und hatte das Pfefferspray neben sich stehen. Erleichtert sah ich in das beinahe fröhliche Gesicht meines Sohnes. Als ich ihm Gute Nacht wünschte, sträubte er sich nicht dagegen, dass ich ihm über den Kopf streichelte.
»Jetzt aber ins Bett mir dir, morgen ist Schule.«
»Okay«, sagte er.
Ich holte einen Wasserkrug aus der Küche und goss den Tannensetzling, den ich im Wohnzimmer stehen hatte. Ich hatte drei davon in Töpfe gepflanzt, aber nur der eine hatte überlebt. Ich hatte sie von einer Tanne abgerissen, in einer Hochebene in der Osttürkei, und in meinem Wohnzimmer fühlten sie sich natürlich nicht sehr wohl. Diesen einen aber wollte ich unbedingthochpäppeln. Obwohl er so viel Raum einnahm, verlieh er dem Wohnzimmer etwas Erfrischendes. Er stillte wohl irgendeine Sehnsucht in mir.
Dann klappte ich den von der Uni gestellten Laptop auf und fuhr mit den Notizen über den Besuch des Professors fort. Mich wunderte, wie schnell mir das von der Hand ging, obwohl ich mir zuvor keinerlei Gedanken gemacht hatte. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass nicht ich selber das alles schrieb. Mir war, als ob ich die am Computer sitzende Maya heimlich beobachtete.
Als ich mich an dem Abend ins Bett legte, hatte ich nicht das Bedürfnis, mich in eine andere Person hineinzuversetzen, und ich sagte auch nicht mein Gedicht auf. Weil ich so müde war? Stattdessen dachte ich kurz an den Professor und seine Geheimnisse. Und an sein unschuldiges Gesicht.
4
Am Morgen des 23. Februar regnete es noch heftiger, und es war unglaublich kalt. Trotz Wollpullover, Mantel und Paschmina-Schal war ich völlig durchgefroren, als ich in der Uni eintraf.
Unmittelbar darauf bekam ich einen Anruf von der Sekretärin des Rektors; ich solle sofort zu ihrem Chef kommen. Ich ging durch den langen Gang des historischen Gebäudes, nickte im Vorzimmer des Rektors der telefonierenden Sekretärin zu und machte die schwere Holztür auf.
»Guten Morgen«, schallte es mir entgegen, doch während ich auf den Rektor zuging, konnte ich kaum fassen, wer neben dem Mann saß, nämlich die drei Kerle, die uns seit Tagen verfolgten. Vor allem der eine, der mich rauchend angegrinst hatte, war mir seither nicht aus dem Sinn gegangen.
Was hatten diese Leute hier zu suchen? Das mit dem Verfolgtwerden hatte ich mir also nicht nur eingebildet. Der Professor steckte in einer komplizierten und vielleicht sogar gefährlichen Sache.
Der Rektor wiederum war über meine Überraschung verblüfft.
»Was haben Sie denn, Maya? Sie sind ja ganz blass. Nehmen Sie Platz, es gibt gar keinen Grund zur Besorgnis.«
Wie betäubt setzte ich mich auf den Stuhl, den der Rektor mir zuwies. Die drei Männer trugen alle Krawatten und zwei einen grauen Anzug, einer einen blauen. Der eine, an den ich mich am besten erinnerte, hatte einen dünnen Schnurrbart. Er war schlank und saß mit übergeschlagenen Beinen da. Die beiden anderen waren unauffälliger. Der eine hatte kaum noch Haare, obwohl er so wie der mit dem Schnurrbart wohl erst um die vierzig war. Der dritte schien um einiges jünger.
»Die Herren sind vom Nachrichtendienst und haben Ihnen etwas mitzuteilen«, sagte der Rektor schließlich.
Ich nickte und brachte ansonsten nur ein gequältes Lächeln zustande. Der Rektor erhob sich, die Männer ebenfalls, so dass ich auch aufstand.
»Ich muss zu einer Sitzung des Akademierats, aber Sie können sich hier in Ruhe unterhalten«, sagte der Rektor, dann ließ er mich mit den drei Männern alleine. Wir setzten uns wieder. Nach kurzem Schweigen sagte der Schnurrbärtige: »Wie geht es Ihnen?«
Das »Gut«, mit dem ich diese nichtssagende Frage quittierte, kam so kläglich heraus, dass ich gleich noch einen Anlauf nahm: »Gut.«
»Wie der Herr Rektor schon mitgeteilt hat, sind wir vom Nachrichtendienst.«
»Ja?«
»Wir wenden uns an Sie, weil wir in einer wichtigen Angelegenheit Ihre Unterstützung brauchen.«
»Meine Unterstützung?«
»Ja.«
»Und worum geht es?«
Der Mann zündete sich eine Zigarette an und tat einen tiefen Zug.
»Sind Sie eine Türkin, die ihr Vaterland liebt?«, fragte er dann.
»Wie bitte? Ich verstehe nicht.«
»Was gibt es da nicht zu verstehen? Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, Ihrem Vaterland zu dienen?«
»Inwiefern dienen?«
»Beantworten Sie erst meine Frage. Lieben Sie Ihr Vaterland oder nicht?«
»Warum fragen Sie mich das?«
Dass ich allmählich gelassener reagierte, verärgerte den Mann
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