Serenade für Nadja
ein Märchen.«
Trotz seiner faltigen Haut und der müden Augen hatte sein Gesicht nun etwas sehr Lebhaftes. Bedeutungsvoll hob er die Hand.
»Das ist noch längst nicht alles. Cicero hat auch die Nachricht übermittelt, dass die Alliierten in der Normandie eine Invasion planten. Zu der ist es ja auch tatsächlich gekommen, aber Hitler glaubte nicht an die Sache, und das hat den Lauf der Geschichte geändert. Hätte er Cicero Glauben geschenkt, wäre alles noch viel schlimmer gekommen. So wurde Deutschland zum Glück besiegt.«
»Das ist ja wie im Film.«
»Ganz richtig, und so einen Film gibt es auch, einen Hollywood-Film mit James Mason, Der Fall Cicero heißt er.«
Ich fragte mich, wieso ein Rechtsprofessor ein so großes Interesse an Spionagegeschichten zeigte. Ein aus Deutschland geflohener Jude war er nicht. Hatte er etwa auch zu Hitlers Spionen gehört? Und Cicero persönlich gekannt? Und was hatte das Ganze mit dem weißen Renault zu tun? Selbst wenn der Professor ein Spion gewesen sein sollte, so war doch seither ein halbes Jahrhundert vergangen. Wer konnte da noch ein Interesse daran haben, den Mann zu verfolgen?
»Was ist aus diesem Cicero geworden?«
»Er hat von den Deutschen für seine Informationen dreihunderttausend englische Pfund bekommen.«
»Das war wohl ein Vermögen für damalige Zeiten?«
Der Professor lachte.
»Nein, nein. Die Deutschen haben ihm Falschgeld gegeben, das sie gedruckt hatten, um die englische Wirtschaft zu destabilisieren. Also hatte Cicero nichts als einen Haufen wertloses Papier in der Hand. Er hat sich dann als Opernsänger versucht, aber erfolglos. Gestorben ist er schließlich in Armut.«
»Eine phantastische Geschichte.«
»Das kann man wohl sagen.«
Wir schwiegen eine Weile. Dann sah ich ihm in die Augen und sagte: »Professor Wagner, das ist alles hochinteressant, aber noch viel neugieriger bin ich auf Sie selber. Warum sind Sie in die Türkei gekommen, und warum haben Sie das Land verlassen und sind nie wieder zurückgekehrt? Neunundfünfzig Jahre, das ist eine verdammt lange Zeit. Wem haben wir Ihren Besuch nach all den Jahren zu verdanken?«
So direkte Fragen hatte er wohl nicht erwartet. Ihm war anzusehen, wie es in ihm arbeitete. Ob er wohl noch etwas zu verbergen hatte? Warum dann aber das freimütige Reden davor?
Wagner ließ seinen Blick durch das Restaurant schweifen, dann sagte er unvermittelt: »Ihre Kette ist ja ein wahres Kunstwerk. Und bestimmt sehr alt. Ein Meisterwerk. Gibt es eine Geschichte dazu?«
Ich musste lächeln über sein Ausweichmanöver. Nun gut, dachte ich mir und wandte mich wieder meinem Essen zu. Er aber gab mir zu verstehen, dass er tatsächlich eine Antwort erwartete.
»So ein Schmuck muss doch eine Geschichte haben«, insistierte er.
Ich lächelte wieder, damit er nicht meinte, ich sei eingeschnappt.
»Nicht nur Sie haben ein Geheimnis, Professor Wagner, jeder hat eines.«
Er nickte. Ich fühlte mich bemüßigt, wenigstens noch einen Satz hinzuzufügen.
»Nur so viel: Die Kette stammt von meiner Großmutter.«
Lächelnd hob er sein Glas.
»Auf unsere Geheimnisse!«
Er sagte den Satz auf Türkisch und fügte dann Englisch hinzu: »Sie haben einen wunderbaren Wein ausgewählt, vielen Dank.«
»Sie haben noch zwei Tage hier. Was würden Sie morgen gerne machen?«, fragte ich. »Eine Tour durch Istanbul? Blaue Moschee, Hagia Sophia, Bosporus … Und vielleicht noch Einkäufe im Großen Basar?«
»Wenn es Ihnen recht ist, würde ich morgen gerne allein herumgehen. Aber für übermorgen, für den 24. Februar, da hätte ich eine Bitte an Sie.«
»Ja?«
»Wäre es möglich, dass Sie mich da morgens schon früh mit dem Auto abholen?«
»Wie früh?«
»Sagen wir um vier?«
Ich stutzte.
»Wo möchten Sie denn hin?«
»Das möchte ich Ihnen lieber erst dann sagen, wenn Sie erlauben.«
Ich hatte auf einmal ein unheimliches Gefühl. Am liebsten hätte ich auf der Stelle Kerem angerufen, ob alles in Ordnung war. Ein normaler Besuch eines Universitätsprofessors war das jedenfalls nicht mehr. Ich scheute mich nicht mehr, dem Mann verwundert in die Augen zu sehen. Er säbelte in aller Seelenruhe an seiner Ente herum.
Den Rest des Essens über waren wir dann ziemlich einsilbig und aßen schneller, um der abgekühlten Atmosphäre zu entgehen. Dann sagte ich, ich müsse zu Kerem nach Hause, und ging.
Daheim erzählte mir Kerem ganz aufgeregt, er habe zwei weiße Renaults gesehen, aber an die Wohnung gekommen sei niemand.
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