Serenade für Nadja
Aus dem Spiegel lächelte mich eine völlig andere Frau an.
Bevor ich aus dem Haus ging, gab ich Kerem sein Eis und schärfte ihm noch einmal ein, immer wieder nach unten zu spähen.
»Und horch hin und wieder an der Tür. Wenn irgendwas ist, rufst du mich an, ja?«
Es freute mich, wie er auf dieses Spiel einging.
Ich rief ein Taxi, denn obwohl es bis zum Taxistand nicht weit war, wollte ich in diesem Aufzug nicht draußen herumlaufen. Ein paar Stunden zuvor war ich hektisch heimgekommen, und nun ging ich gemessen, aber glücklich wieder aus dem Haus. Voller Selbstvertrauen.
Ich muss jetzt aufstehen und mir die Beine vertreten. In dem Animationsfilmchen, der vor dem Start lief, sind Übungen gezeigt worden, durch die man auf Langstreckenflügen Blutgerinnseln vorbeugt.
Obwohl wir seit gut zwei Stunden unterwegs sind, habe ich noch niemanden gesehen, der diese Übungen auch tatsächlich macht. Es liegen ja alle, da braucht man das wohl nicht. Nur ich sitze da und habe das ganze Blut in den Beinen. Also aufgestanden und diese Übungen gemacht. Die halten mich auch länger wach, denn schlafen will ich bis Boston nicht.
3
Der Professor schien meinem schwarzen Kleid nicht die geringste Beachtung zu schenken. Ganz im Gegenteil war er sehr ernst und zurückhaltend. Es war unmöglich, dass er nicht bemerkte, wie sehr ich mich zurechtgemacht hatte, doch bedeutete ihm das einfach nichts. Und irgendwie sorgte das für eine entspannte Atmosphäre. Mir fiel auf, wie wenig Menschen in dem schicken Restaurant saßen. Das Pera Palace schien nicht mehr so angesagt zu sein.
»Haben Sie damals lange hier gewohnt?«, fragte ich.
»Bei meiner Ankunft bin ich hier abgestiegen, und bis mir Freunde zu einer Wohnung verholfen haben, bin ich in etwa einen Monat hier geblieben.«
»Sie hatten also Freunde in Istanbul?«
»Ja, Deutsche. Es gab damals eine große deutsche Gemeinde hier.«
»In den dreißiger und vierziger Jahren? Das wusste ich gar nicht.«
»Es waren Konsulatsangestellte, Geschäftsleute, Übersetzer und deutsche und jüdische Universitätsprofessoren.«
»Die Juden waren vor Hitler geflüchtet?«
»Ja.«
»Dann sind Sie auch einer?«
Er lächelte.
»Nein. Ich bin ein Arier nach Hitlers Vorstellung.«
»Warum sind Sie dann nach Istanbul gekommen?«
»Das ist eine andere Geschichte.«
»Und mit den anderen Deutschen haben Sie sich hier im Hotel getroffen?«
»Manchmal. Meistens aber im Teutonia-Haus, hier ganz inder Nähe. An Sonntagen wimmelte es dort von Deutschen. Auch Spione waren darunter.«
»Spione?«
»Natürlich. Während des Krieges war ganz Istanbul voller Spione, und Hitler hat selbstverständlich auch welche geschickt. Dieses Hotel hier war ein richtiges Spionagenest. Jeder wusste das.«
Würde jetzt gleich ein Geständnis kommen? Erst die Männer, die uns verfolgten, und jetzt die Sache mit den Spionen. Was ich Kerem als Aufreger verkauft hatte, schien ernster zu sein als gedacht.
Dem Professor war anscheinend bewusst, wie interessiert ich nun war. In verschwörerischem Ton fuhr er fort.
»Haben Sie schon von Cicero gehört?«
»Natürlich. Er war ja sogar einmal Statthalter hier in Kilikien. Aber was hat das damit zu tun?«
»Nicht der Cicero. Ich meine den Cicero in Ankara, den größten Spion des Zweiten Weltkriegs.«
Machte er sich über mich lustig? Nein, sein Gesicht war völlig ernst.
»Cicero war der Codename eines albanischstämmigen Türken, der eigentlich Elyesa hieß. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er in Ankara als Kammerdiener des britischen Botschafters Knatchbull-Hugessen. Er war in sämtliche Geheimnisse eingeweiht. Die beiden standen sich so nahe, dass Cicero dem Botschafter beim Baden sogar den Rücken einseifte. Und dabei soll er, während der Botschafter die Augen voller Seife hatte, einen Wachsabdruck von dem Safe-Schlüssel gemacht haben, den der Botschafter um den Hals trug. Somit hatte Cicero Zugang zu allen Geheimdokumenten und begann schließlich für die Deutschen zu spionieren. Der Botschafter von Nazi-Deutschland war damals kein anderer als Franz von Papen. Cicero übermittelte von Papen die Kopien aller möglichen Dokumente, und der schickte sie nach Berlin weiter.«
So etwas kannte ich bisher nur aus Filmen oder Romanen.
»Sind Sie sicher, dass das alles stimmt, Herr Professor?«, fragte ich.
Er lächelte, so als sei es ganz normal, dass mir das erst einmal unglaubwürdig vorkommen würde.
»Und ob das stimmt.«
»Es hört sich an wie
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