Serenade für Nadja
kurz darauf Onkel Necdet. Als er gekommen ist, haben die Männer ganz schön dumm geschaut. War ein echt toller Abend gestern. Wie im Film.«
Mit seinen dichten schwarzen Augenbrauen und den olivschwarzen Augen hatte mein Sohn eine unheimliche Ähnlichkeit mit meiner Großmutter.
»Und, was hast du im Internet gefunden?«
»Alles Mögliche. Dein Professor ist damals aus Deutschland in die Türkei geflüchtet.«
»Das wusste ich schon. Und weiter?«
»Ich hab einen Haufen Dokumente gefunden. Ich habe alles ausgedruckt. Das kannst du dir heute Abend anschauen.«
»Mach ich. Du musst mir aber noch was suchen, und zwar über ein Schiff, das Sutuuma heißt. Ein rumänisches Schiff.«
»Ein rumänisches Schiff … Wie heißt es noch mal, Sumuta ?«
»Genau weiß ich es auch nicht. Für mich hat es sich angehört wie Sutuuma .«
»Sutuuma, Sutuuma …« Er sagte sich den Namen ein paarmal vor.
Ich küsste ihn, sorgte dafür, dass er seinen Dufflecoat anzog, band ihm trotz seiner Proteste seinen Wollschal um, steckte ihm etwas Geld in die Tasche und schickte ihn zur Schule.
Dann räumte ich den Tisch ab und steckte die Teller in die Spülmaschine. Beim Lüften steckte ich den Kopf zum Fenster hinaus. Es war zwar immer noch kalt, aber kein Vergleich zum Tag davor. Durch den Schnee war es vermutlich milder geworden. Hätten wir nicht heute nach Şile fahren können, Herr Professor? Oder vorgestern? Musste es ausgerechnet der kälteste Tag des Jahres sein? Damit haben Sie sich übel zugerichtet. Und mich auch.
Ich rief im Krankenhaus an und fragte nach Dr. Filiz Ünaldı. Ich wusste, dass die Ärzte während der Arbeit ihre Handys ausschalteten. Ich hörte, wie sie ausgerufen wurde, dann hatte ich sie am Apparat.
»Wie geht es ihm?«, fragte ich.
»Mensch, du hast mir eine lebende Leiche geschickt. Eigentlich müsste der Mann mausetot sein, aber er hält anscheinend ganz schön was aus.«
»Was hat er genau?«
»Könnte eine Lungenentzündung sein. Er wird noch untersucht.«
»Ich dank dir, Filiz. Er ist nämlich ein bedeutender Wissenschaftler, und noch dazu ein spezieller Gast von unserem Rektor, deswegen …«
»Weiß schon«, unterbrach sie mich. »Und für sein Alter sieht er verdammt gut aus. Wie ein Schauspieler.«
»Ich komme jedenfalls heute vorbei. Bis dann.«
Ich holte mein blaues Kostüm aus dem Schrank und zog eine weiße Seidenbluse an. Dann legte ich Lidschatten auf, Mascara, roten Lippenstift, das volle Programm. Dazu die Schuhe mit den höchsten Absätzen. Ich bereitete mich vor wie eine Kriegerin, denn was mich erwartete, war nichts anderes als eine Schlacht.
Erst fuhr ich zu der Kaserne in Maslak, in der mein Bruder stationiert war, und fragte die Wachen nach Oberst Necdet Duran.
»Werden Sie erwartet?«
»Ja, ich bin seine Schwester.«
»Warten Sie bitte hier«, hieß es dann, »Sie werden abgeholt.«
Ich hatte eine gepflegte Parkanlage vor mir, mit ansehnlichen Gebäuden, zwischen denen eine Gruppe fast gleich großer Soldaten im Gleichschritt marschierte. Wer weiß, wie lange sie üben mussten, bis das so einwandfrei klappte. Nicht nur den Berufssoldaten, auch den Wehrpflichtigen wurde beigebracht, dass Gehorchen wichtiger sei als Denken. Ziel war das Heranziehen von Menschen, die auf gleiche Weise marschierten, grüßten, redeten und dachten. In diese Maschinerie wurden Menschen eingegeben, und heraus kamen Soldaten.
Ich hatte es gar nicht weit gehabt bis zu der Kaserne, da militärische Einrichtungen in der Türkei oft im Stadtzentrum und an ansprechenden Stellen angesiedelt sind. Gleich neben dem Hilton -Hotel, einem der elegantesten Gebäude Istanbuls, stand ein nicht minder schickes Offizierskasino, und an den Ufern von Bosporus und Marmara-Meer gab es reihenweise Armeeangehörigen vorbehaltene Lokale und Hotels, die noch dazu sehr billig waren. Mein Bruder tat schon gut daran, dass er sich so anstrengte, um General zu werden, denn von da an war ihm ein sehr hoher Lebensstandard sicher.
Schließlich kam ein junger Offizier und bat mich höflich, ihm zu folgen. Wir gingen durch den Park in eines der hinteren Gebäude und dort in den zweiten Stock hinauf. In den Gängen wimmelte es von Offizieren jeglichen Ranges. Ich weiß nicht, ob sie diese Leute ganz besonders auswählten oder ob es nur an der Uniform lag, aber sie hatten allesamt etwas Schneidiges an sich.
Mein Begleiter wartete ab, bis auf sein Klopfen hin ein »Herein« ertönte, dann bat er mich in den Raum und
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