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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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Schultern hielt, spürte ich eine Mischung aus Angst und Wut heraus. Das gab ihm aber nicht das Recht, mir wehzutun. Plötzlich hatte ich Lust, auch ihn zu verletzen.
    »Necdet, ich muss dir noch was sagen. Diese Leute wissen über unsere Großmutter Bescheid.«
    Seine Augen weiteten sich vor Schreck.
    »Ist das dein Ernst?«
    »Ja, sie haben mir damit sogar gedroht.«
    »Verdammt! Verdammt!«
    Dann fing er sich wieder und sagte: »Nun ja. Auf Wiedersehen, Maya.«
    »Necdet, mach dir keine Sorgen. Sie wissen es bestimmt schon seit Jahren, und trotzdem haben sie dich so weit hochkommen lassen. Sie zweifeln also nicht an deiner Vaterlandsliebe.«
    »Meinst du?«
    »Ich bin mir sicher. Sonst hätten sie dich schon lange abserviert. Doch warum sollten sie das überhaupt? Du bist ja so nationalistisch,dass du vom schmutzigen Blut deiner Großmutter faselst.«
    »Das hast du also nicht vergessen?«
    »Niemals. Ich frage mich nur, ob du noch immer so denkst.«
    »Mich kümmert nicht, was vor meiner Geburt passiert ist, und schon gar nicht, was vor der Republik geschehen ist. Ich bin Türke, und meine Aufgabe ist es, mein Vaterland zu verteidigen.«
    »Tut mir leid, Necdet, aber mir wäre es lieber, du würdest zu den Türken gehören, die damals Vorfahren von uns gerettet und mit ihnen zusammen geweint haben.«
    »Das ist also dein Dank?«
    »Ich wollte dich nicht kränken. Reden wir nicht mehr davon. Am besten, wir reden gar nicht miteinander. Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast.«
    Er sah mich forschend an, ob ich ihn verspotten wollte.
    Ich berührte ihn am Arm, weil mir plötzlich danach war, mich an ihn zu schmiegen. Doch er blieb ungerührt.
    »Ich kann gar nicht gutmachen, was du für Kerem und für mich getan hast. Ich danke dir von ganzem Herzen dafür. Sag deiner Frau und deinen Kindern einen schönen Gruß von mir.«
    Unschlüssig stand er da. Dass ich ihn an die Sache mit dem schmutzigen Blut erinnert hatte, schien ihm doch nahezugehen. Wahrscheinlich hatte er das längst verdrängt. Und nun mischte ich mich in sein Leben ein und zwang ihn dazu, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen.
    »Ihr habt ja keine Ahnung!«, zischte er zwischen den Lippen hervor.
    »Wie bitte?«
    »Keine Ahnung habt ihr, sage ich. Ihr lauft nur stumpfsinnig einem Trend nach.«
    »Wen meinst du denn? Kerem und mich?«
    »Nein, deine Freunde und dich.«
    »Welche Freunde?«
    »Na, die ganze Intellektuellenbande.«
    »Necdet, ich weiß nicht, was du meinst. Welche Intellektuellen? Und wovon haben wir keine Ahnung?«
    Mit der gereizten Miene von jemandem, der immer das Gleiche wiederholen muss, sagte er: »Mit eurem Herumreiten auf der Armeniergeschichte macht ihr euch zum Handlanger der armenischen Diaspora.«
    »Ich rede doch nur von unserer Großmutter.«
    »Ja, von der einen, aber nie von der anderen.«
    »Was hat das damit zu tun?«
    »So einiges, aber das passt euch nicht in den Kram.«
    Mir wurde es zu bunt.
    »Was heißt hier euch? Red nicht immer in Rätseln. Wovon soll ich keine Ahnung haben? Und was ist mit der anderen Großmutter? Jetzt sag schon, warum regst du dich so auf?«
    Ich beobachtete, wie seine Schläfe pochte und er grimmig die Zähne aufeinanderpresste.
    »Na schön, dann setz dich wieder hin.«
    Er nahm mich erneut an der Schulter und drückte mich auf den Sessel zurück. Dann stellte er sich hinter den anderen Sessel, stützte sich auf die Lehne und sagte: »Von der Geschichte dieses Landes habt ihr keine Ahnung. Von all dem, was wir mitgemacht haben.«
    »Dann erzähl mir davon. Ich höre.«
    »In letzter Zeit ist es Mode, dass man nur von den Armeniern redet. Nur Armenier hätten gelitten in diesem Land, nur Armenier wären umgebracht worden …«
    »Ich rede einzig und allein von unserer Großmutter, was hat das mit einer Mode zu tun?«
    »Glaubst du, das Leid mancher Menschen ist mehr wert als das anderer?«
    »Nein, das glaube ich nicht.«
    »Warum tut ihr dann, als seien nur Armenier getötet und vertrieben worden, und nicht auch Millionen von Türken auf dem Balkan und in Anatolien? Als der Westen das Osmanische Reich zerschlagen hat, da haben alle osmanischen Völker gelitten. Die Armenier, die Griechen, die Juden, aber systematisch vergessen werden die Muslime. Ist das etwa gerecht?«
    »Warum soll mich das abhalten, mich an meine Großmutter zu erinnern?«
    »Es hält dich davon ab, an deine andere Großmutter zu denken.«
    »Warum denn? Was war mit der los?«
    Unsere

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