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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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gleich heim, aber ich rufe jemanden an, der zu dir kommt.«
    »Papa?«
    Ich überlegte.
    »Das weiß ich noch nicht.«
    Auch mir war zuerst Ahmet eingefallen. Schließlich war Kerem auch sein Sohn, also konnte er sich um ihn kümmern. Doch verwarf ich den Gedanken, denn Ahmet war unzuverlässig. Riefe ich ihn an, so würde er entweder gar nicht ans Telefon gehen oder aber den Ernst der Lage nicht begreifen. Und sollte er sich tatsächlich nützlich machen, würde er das ausschlachten und mir jahrelang Vorhaltungen machen.
    So rief ich zum ersten Mal seit Jahren wieder meinen Bruder an. Beim vierten Klingeln hob er ab.
    »Maya?«
    »Ja, ich bin’s.«
    Die Überraschung war ihm anzumerken.
    »Äh, hallo.«
    »Du, ich ruf dich wegen eines Notfalls an, ich brauche dringend deine Hilfe.«
    »Was ist denn passiert?«
    »Ich bin in Şile, Kerem ist allein daheim, und da sind Geheimdienstler in die Wohnung gekommen.«
    »Geheimdienstler?«
    »Ja.«
    »Zivile oder vom Militär?«
    »Ich weiß nicht. Uniform tragen sie keine.«
    »Und was wollen die bei dir?«
    »Das erklär ich dir später. Kannst du dich jetzt um Kerem kümmern?«
    Nach einer Weile sagte er: »Ich habe Gäste.«
    »Bitte! Begreifst du nicht, bei mir sind Leute vom Geheimdienst? Wer weiß, wozu das noch führt.«
    Diese Andeutung genügte.
    »Gut, ich fahr sofort los.«
    Ich atmete auf. »Danke.« Fast hätte ich losgeweint.
    »Ich versuche auch zu kommen«, sagte ich noch.
    »Was heißt versuchen? Was tust du überhaupt in Şile, bei der Kälte?«
    »Wir haben einen Gast, einen Professor aus Amerika, der wollte hierher, aber jetzt ist das Auto kaputt, und wir stecken in einem Motel fest, in der Nähe von Şile.«
    »Dann schicke ich euch ein Auto.«
    »Du bist meine Rettung, danke. Black Sea heißt das Motel.«
    »Keine Sorge, das finden die schon. Ich gebe ihnen deine Nummer mit.«
    Nach dem Gespräch machte ich mich daran, den Professor zu wecken, der unter Decke und Mantel noch immer fest schlief. Er hatte inzwischen ein wenig Farbe im Gesicht. Ich schüttelte ihn leicht.
    »Herr Professor, wie geht es Ihnen jetzt? Können Sie aufstehen?«
    Er tat die Augen auf und sah mich an. Dann zog er eine Hand unter der Bettdecke heraus und ergriff damit meine Hand. Kaum hatte er die Augen wieder zu, begann er zu phantasieren wie am Strand.
    »Sutuuuma, da ist sie, Sutmaaa, sie kommt, Nadja, Suturuma, weg, weg …«
    »Herr Professor, hören Sie mich? Wer kommt? Wer ist Sutuma? Herr Professor, können Sie aufstehen?«
    Wieder schlug er die Augen auf. Und sah sich diesmal verwundert um.
    »Wo sind wir?«
    Er zitterte.
    »Immer noch an dem Strand, in einem Motel. Sie sind vor lauter Kälte in Ohnmacht gefallen, da habe ich Sie hierher gebracht. Bald werden wir abgeholt. Ziehen Sie sich jetzt bitte an.«
    Da merkte er, dass er fast nackt war, und konnte sich wohl keinen Reim darauf machen. Während er sich langsam anzog, sah er mich fragend an.
    »Ich habe Sie ausgezogen und ins Bett gelegt«, sagte ich. »Ich musste irgendwas tun, um Ihnen das Leben zu retten.«
    »Und was?«
    Ohne meine Antwort abzuwarten, sagte er leise: »Danke.«
    Ich half ihm beim Anziehen. Danach war ich ihm auf der Treppe behilflich, ja eigentlich trug ich ihn fast hinunter. Der Junge hatte draußen ein kleines Feuer angezündet und wärmte sich daran die Hände. Als er uns sah, stand er auf. Während er auf uns zuging, tauchte plötzlich ein dunkles Auto auf und fuhr rasch heran. Ein Mann stieg aus und rief: »Sind Sie Maya Duran?«
    »Ja.«
    »Wir sollen Sie abholen.«
    Auch der Mann am Steuer stieg aus.
    »Das ging aber schnell. Ich hätte gedacht, von Istanbul brauchen Sie bestimmt zwei Stunden.«
    »Wir kommen nicht aus Istanbul, sondern hier aus der Nähe. Der Herr Oberst hat uns sofort losfahren lassen.«
    Ich dankte den beiden, dann schafften wir gemeinsam den Professor in den Wagen.
    »Wer ist das?«, fragte Wagner.
    »Die helfen uns und bringen uns nach Istanbul zurück.«
    »Und der Mercedes?«
    »Der hat eine Panne, deshalb sind wir abgeholt worden. Machen Sie sich keine Sorgen.«
    Gerade als wir losfahren wollten, fiel mir noch etwas ein. Ich stieg aus und fragte den Jungen, was das Motelzimmer kostete.
    »Weiß ich nicht«, antwortete er.
    Ich gab ihm aufs Geratewohl etwas, dann fuhren wir ab. Wir hatten es schön warm in dem Wagen, zum ersten Mal seit Stunden. Der Professor schlief gleich wieder ein.
    Mein Bruder musste inzwischen bei mir zu Hause sein, und höchstwahrscheinlich

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