Serenade für Nadja
schloss die Tür hinter mir. Mein Bruder stand von einem großen Mahagoni-Schreibtisch auf und ging mir entgegen. Er küsste mich auf die Wange und ließ mich auf einem der beiden Sessel vor dem Schreibtisch Platz nehmen.
Von meinem Platz aus sah ich das silbergerahmte Familienfoto auf dem Schreibtisch, das meinen Bruder mit seiner Frau und seinen zwei Kindern zeigte.
Auch meinem Bruder stand die Uniform hervorragend. Nurder kleine Rasierschnitt auf der Wange bewies, dass er auch nur ein gewöhnlicher Mensch war.
»Bringen Sie der Dame einen mittelsüßen Mokka«, sagte er zu dem Untergebenen, der den Raum betreten hatte. »Ich brauche nichts.«
Ich musste schmunzeln. Nach all den Jahren wusste er noch immer, wie ich meinen Mokka trank.
»Nochmals vielen Dank, Necdet. Du warst gestern meine Rettung.«
»Kerem ist ganz schön groß geworden«, erwiderte er lächelnd. »Ein Riesenkerl. Und hat sich richtig erwachsen verhalten.«
»Wer sind denn diese Leute?«
»Wie du schon selber gesagt hast, sind sie vom Geheimdienst.«
»Vom MIT?«
»Nein.«
»Vom militärischen Geheimdienst?«
»Auch nicht.«
»Ja, was dann?«
»Von … einer Spezialorganisation.«
»Und was wollen sie von uns?«
»Die sind nicht hinter dir her, sondern hinter dem deutschen Professor.«
»Er ist ein deutschstämmiger Amerikaner.«
»Auch recht. Jedenfalls interessieren sie sich für den.«
»Und was wollen sie von ihm?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Der Mann war vor neunundfünfzig Jahren mal in Istanbul. Hat es damit was zu tun?«
»Kann sein.«
»Geht es um etwas Kriminelles?«
»So könnte man es nennen.«
Man brachte den Mokka, schön schäumend, in einer eleganten weißen Tasse, und dazu ein Glas Wasser. Es war alles perfekt.
»Ach, komm, Necdet, ich darf doch erfahren, warum ich diesen ganzen Ärger am Hals habe.«
»Am besten, du vergisst das Ganze und hältst dich von diesem Professor Wagner fern.«
»Mach ich dann, versprochen, aber ein bisschen musst du meine Neugier schon noch befriedigen.« Spöttisch fügte ich hinzu: »Ist er etwa ein Spion?«
»Nein.«
»Hat es etwas mit einem Raub zu tun?«
»Nein.«
»Mit einem Mord?«
Er zögerte.
»Gewissermaßen schon«, sagte er.
Das Ganze ging also auf einen vor neunundfünfzig Jahren begangenen Mord zurück. Wer aber war der Mörder? Der Professor? Hatte er diese Nadja etwa umgebracht? Womöglich hatte er sie damals in der Bucht bei Şile erwürgt und war nun zurückgekehrt, weil ihn immer noch Gewissenbisse plagten.
»Necdet, ist der Professor ein Mörder?«
»Nein.«
»Wo ist dann das Problem?«
»Ach, Maya!«
Verärgert stand er auf und ging ein paar Schritte auf und ab. Dann trat er hinter seinen Schreibtisch und stützte beide Hände auf.
»Hör jetzt auf mit dieser Bohrerei. Du musst mir glauben, dass ich dir nicht mehr sagen kann. Ich darf dir nur mitteilen, dass es eine internationale Angelegenheit von einiger Bedeutung ist. Wenn du dir und Kerem Ärger ersparen willst, dann vergiss das alles.«
»Gut, das will ich ja auch, aber eine letzte Frage habe ich noch. Zieh nicht so ein Gesicht, es ist wirklich die letzte. Wenn der Professor kein Mörder ist, was wollen sie dann von ihm?«
Mein Bruder schien erst überlegen zu müssen, wie er mir die Sache beibringen könnte. Mit tonloser Stimme sagte er schließlich: »Es gibt Befürchtungen, dass er ein Verbrechen aufdecken möchte.«
Jetzt wurde es erst recht geheimnisvoll. Was sollte schlecht daran sein?
Vor allem aber war ich erleichtert. Der Professor hatte also keine Frau namens Nadja umgebracht und wollte höchstens deren Mördern auf die Spur kommen.
Beim Abschied fasste mein Bruder mich an den Schultern und sah mir in die Augen.
»Pass auf, Maya, du musst eines begreifen. Als du mich gestern angerufen hast, habe ich dir geholfen. Das soll aber bitte das letzte Mal sein. Der Junge hat schließlich einen Vater. Du bist eine erwachsene Frau und musst dich um deinen Sohn kümmern. Wir leben in zwei verschiedenen Welten. Bitte zieh mich in so was nicht noch einmal hinein.«
»Du bist doch mein Bruder.«
»Das bin ich, aber von unseren Anschauungen her sind wir uns völlig fremd. Darum sollte jeder seinen Weg gehen.«
Schlimmer noch als seine Worte waren sein kalter Blick und sein gepresstes Flüstern. Das war nicht mehr der Necdet, den ich kannte. Ich fühlte mich, als sei mein Bruder mit jemand anderem vertauscht worden. An der ganzen Art, wie er dastand und noch immer meine
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