Serenade für Nadja
sowie die Heranbildung von wissenschaftlichem Personal sorgen sollten.
Zunächst mussten die ausländischen Professoren sich mit Dolmetschern behelfen, doch hatten sie innerhalb von drei Jahren in der Lage zu sein, ihren Unterricht auf Türkisch zu halten.
Ihr Gehalt war fünfmal so hoch wie das ihrer türkischen Kollegen.
Als ich mich weiter festlas, fand ich heraus, dass trotz des hohen Gehalts das Leben jener Professoren nicht immer ein Honigschlecken gewesen sein dürfte. Sie hatten mit Sprachschwierigkeiten zu kämpfen, mit der Feindseligkeit der in Istanbul ansässigen Griechen und Armenier, die aus Abneigung gegen Juden für die Nazis waren, mit dem Druck, den Hitler auf Ankara ausübte, damit die Wissenschaftler nach Deutschland zurückgeschickt wurden, mit den Vorurteilen, die manche türkische Professoren den Fremden entgegenbrachten, und mit dem Neid wegen des vergleichsweise hohen Gehalts.
Dennoch waren sie zum Teil jahrzehntelang in der Türkei geblieben, und manche hatten in ihrem Testament verfügt, dort auch begraben zu werden.
Im Aşiyan-Friedhof am Bosporus ruhen nebeneinander Curt Kosswig und Erich Frank. Der berühmte Architekt Bruno Taut liegt auf dem Friedhof von Edirnekapı, der Archäologe Clemens Bosch auf dem von Feriköy. Der Finanzwissenschaftler Fritz Neumark blieb neun Jahre in der Türkei und gründete dort die Wirtschaftsfakultät. Nach seiner Rückkehr in die Heimat wurde er zum Rektor der Universität Frankfurt gewählt. Ernst Reuter hatte in Ankara das Institut für Stadtplanung gegründet und war nach seiner Rückkehr der erste Bürgermeister Westberlins geworden.
Je mehr ich las, umso mehr staunte ich, was für bedeutende Menschen das gewesen waren.
Da hatten also in der Türkei einmal so namhafte Menschen zusammengewirkt, und weder in der Türkei selbst noch sonstwo auf der Welt war heute noch die Rede davon.
Vor meinen staunenden Augen tat sich eine völlig neue Welt auf. Da kamen wir Tag für Tag in diese Uni und hatten keine Ahnung von dem Schatz, auf dem wir saßen.
Es war alles sehr spannend, doch fand ich noch immer keine Akte über Maximilian Wagner. So machte ich mich gezielt auf die Suche nach dem Namen Wagner. Und wurde tatsächlich irgendwann fündig. Als ich die Akte endlich in Händen hielt, fiel mir aber gleich auf, dass etwas damit nicht stimmte. Während nämlich die anderen Akten voller Dokumente steckten, war die von Wagner so gut wie leer.
Als ich sie öffnete, fand ich gerade mal zwei Blätter vor. Das eine war ein Protokoll, in dem es hieß, der deutsche Staatsbürger Maximilian Wagner, Dozent an der Universität Istanbul, sei von den türkischen Sicherheitsbehörden in Untersuchungshaft genommen und danach des Landes verwiesen worden. Ferner sei er vom Ministerrat zur Persona non grata erklärt worden, und der türkische Geheimdienst sei über den Vorgang informiert worden.
In dem zweiten Dokument stand geschrieben, Herbert Scurla, Sondergesandter von Reichskanzler Adolf Hitler, sei bei der Universität vorstellig geworden, habe über Professor Wagner Erkundigungen eingezogen und gegenüber dem Rektor angegeben, Wagner sei als von England beauftragter Spion tätig und verschlüssle seine Berichte mit Hilfe von Musiknoten.
Musiknoten! Ich war wie vor den Kopf geschlagen. War der Mann, den ich so sympathisch fand und mit dem ich sogar in einem Bett gelegen hatte, tatsächlich ein Agent?
Ich machte mir Kopien von den beiden Dokumenten und stellte die Akte wieder an ihren Platz. Dann winkte ich Nermin zu, die mit Studenten beschäftigt war, und ging zurück in mein Büro.
Ich bestellte beim Teejungen Hasan einen mittelsüßen Mokka, den ich auf dem goldgelben Tablett auch schon bald gebracht bekam. Nachdem ich den Mokka getrunken hatte, blieb ich eine Weile reglos sitzen, um meine Gedanken zu sammeln. Die Dokumente ließen eigentlich keinen Zweifel daran, dass es sich bei Wagner um einen Spion handelte, aber ich brachte das mit dem Mann, den ich kannte, nicht in Einklang. Es kam mir so vor, als handelte es sich um zwei Personen.
Kerem musste inzwischen von der Schule zurück sein. So rief ich İlyas an und bat ihn, Kerem zu Hause abzuholen und zu mir an die Uni zu bringen. Darauf rief ich Kerem an.
»Mach dich fertig«, sagte ich zu ihm, »İlyas holt dich gleich ab.«
»Was ist denn los, Mama?«, fragte er, wohl beunruhigt von meinem ernsten Ton. »Ist was passiert?«
»Nein«, sagte ich nur.
Dann legte ich die Arme auf den Tisch, bettete den
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