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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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begrüßte sie einzeln und hieß sie in der Türkei willkommen. Der Schah von Persien ließ sich daraufhin von Professor Alfred Kantorowicz die Zähne behandeln und von dem Augenarzt Josef Igersheimer eine neue Brille verschreiben.
    Ich las auch nach, was genau das deutsche Wort »Anschluss« bedeutete und musste so manches historische Detail recherchieren. Da die Türkei sich am Zweiten Weltkrieg nicht beteiligt hatte, war auch unser Wissen darüber recht begrenzt. Genaugenommen beschränkte es sich auf das, was wir aus Hollywood-Filmen kannten.
    Ich fragte mich, ob es nicht ein Fehler war, Kerem diese Sucherei aufzubürden. Was sollte er mit seinen vierzehn Jahren schon von Dingen begreifen, die selbst mir zu hoch waren? Das Gute daran war aber, dass er nun eine Aufgabe hatte. In der Schule würde er bestimmt mit seinem Wissen über den Brief Einsteins angeben, von dem höchstwahrscheinlich auch seine Lehrer noch nichts gehört hatten.
    Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen galt meiner tatarischen Großmutter. Sie hatte Entsetzliches erlebt und uns doch nie davon erzählt. Als würden die furchtbaren Ereignisse wieder aufleben, sobald man über sie sprach.
    Obwohl ich meiner Großmutter väterlicherseits viel näher gestanden hatte als meiner tatarischen Großmutter, hatte auch sie mich erst ganz spät eingeweiht. Beide Frauen hatten ihre wahre Identität ein Leben lang verschwiegen.

10
    Als ich am nächsten Morgen erwachte, hatte ich noch immer den Laptop und die Papiere im Bett liegen. Diese Geschichte nahm in meinem Leben allmählich viel Raum ein. Und trotzdem wusste ich über so vieles noch nicht richtig Bescheid: über Wagner, Nadja, die Spionagegeschichte, das Verbrechen, meine Großmutter …
    Mir fiel der weiße Renault wieder ein. Seit Tagen hatte ich die drei Geheimdienstler nicht mehr gesehen. Warum wohl? Hatten sie es aufgegeben, mich zu verfolgen? Auch der Rektor war auf das Thema nicht mehr zurückgekommen. Wie dem auch sei, ich war die drei los. Vielleicht weil mein Bruder sich der Sache angenommen hatte. Ob nun er uns verfolgen ließ?
    Hatte er sich die Akte über Maximilian Wagner erst kurz vor meinem Besuch bringen lassen, oder war er von Anfang an mit der Sache befasst gewesen? Bei meinem Anruf aus Şile hatte er überrascht geklungen, sehr sogar.
    Mir ging das alles wieder im Kopf herum, doch daneben hatte ich schließlich auch meinen Alltag zu bewältigen. Ich musste Kerem aufwecken, ihm das Frühstück machen und ihn dann zur Schule schicken. Und dann musste ich wieder zur Uni …
    Für ein ausführliches Frühstück fehlte mir die Energie. Ich fühlte eine große Last auf mir. Alle Gelenke taten mir weh, und hätte ich nicht zur Arbeit gemusst, wäre ich den ganzen Tag zu Hause geblieben und hätte ferngesehen und gelesen.
    Kerem ließ sich Zeit, wie üblich, war er es doch gewohnt, dass ich ihn schon rechtzeitig antreiben würde, damit er seinen Schulbus nicht verpasste. Nur machte ich diesmal keinerlei Anstalten dazu, und das wunderte ihn.
    Zuerst löffelte er noch gemächlich seine Cornflakes, vielleichtsogar betont langsam. Dann aber wurde er sichtlich unruhig und sah mehrmals auf die Casio Taucheruhr, die ihm sein Vater zum Geburtstag geschenkt hatte. Misstrauisch blickte er mich an. Ich ließ mir nichts anmerken und las weiter Zeitung. Kerem beherrschte sich noch eine Weile, aber irgendwann musste er etwas sagen.
    »Mama, was für ein Tag ist heute?«
    Ohne von der Zeitung aufzublicken, sagte ich: »Freitag. Warum?«
    »Es ist also nicht Wochenende. Und ich habe Schule.«
    »Ja«, sagte ich gleichgültig und blätterte um.
    Schließlich hielt Kerem es nicht mehr aus und sprang vom Tisch auf.
    »Was ist denn los mit dir? Ich verpasse doch den Bus. In zwei Minuten muss ich aus dem Haus sein.«
    »Tatsächlich? Habe ich gar nicht gemerkt.«
    Er lief in den Flur und zog seine Jacke an, mit ausladenden Bewegungen, die ihn niedlich wirken ließen. Er war eben doch noch ein Kind. Lachend ging ich zu ihm.
    »Du brauchst dich nicht zu beeilen. Heute bringe ich dich zur Schule.«
    »Du?«
    »Ja.«
    Ich trat ans Fenster und sah hinunter. Wie ich mir gedacht hatte, war İlyas schon da. Ich winkte Kerem zu mir und zeigte ihm den Ford Focus, an dem İlyas lehnte und rauchte.
    »Da, das ist unser Auto, und der Mann ist unser Fahrer.«
    »Du meine Fresse!«, rief er aus und hielt sich die Hand vor den Mund, als ob sich seine Worte damit aufhalten ließen. »Dann bringt mich jetzt ein Fahrer zur

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