Serum
Ross – die Decknamen der Personen auf Ludenhorffs geheimer Verteilungsliste.
Danny kratzte sich am Arm. »Ich fühle mich, als hätten mich zehntausend Moskitos gestochen. War das bei dir auch so, Boss?«
»Nicht ganz so schlimm.«
»Es ist schon fast elf Uhr. Warum spüre ich nichts außer diesem verdammten Juckreiz?«
»Woher soll ich das wissen?«, blaffte ich und ging zurück zu Ludenhorff, der sich mit jeder Minute, in der die Droge keine Wirkung entfaltete, mehr entspannte.
»Anscheinend steht Ihnen der Sinn nach Revolution«, sagte ich.
»Nach Ordnung«, gab er zurück.
»Mord.«
»Sicherheit.«
»So bezeichnen Sie also Kims Ermordung? Ein Akt der Sicherheit?«
Er zögerte. Ich glaube, er hatte nichts von Kims Tod gewusst. Aber er riss sich zusammen. »Ich habe nie jemanden verletzt. Es tut mir leid, wenn ihr etwas zugestoßen ist. Aber selbst bei friedlichen Umwälzungen kommen immer ein paar Menschen zu Schaden.«
Sein Blick flackerte, als er das Buch in meiner Hand sah, Die Französische Revolution. Einen Augenblick lang nahm sein Gesicht herablassende, professorale Züge an. Er dozierte: »Robespierre hat eine Herrschaft des Terrors errichtet, Frankreich aber reif für die Demokratie gemacht. Tausend Unzufriedene haben den Kopf verloren, aber es folgten Jahrhunderte der Kultur und der Stärke.«
»Nicht zu vergessen warme Croissants«, warf Danny ein.
Ludenhorff sah ihn an wie ein irritierter Professor einen Zwischenrufer. »Besser ein Übergang mit ein wenig Leiden als völliges Versagen und Zusammenbruch.«
»Übergang wozu?«
»In eine friedliche Welt, geleitet von denjenigen, die intelligent und befähigt dazu sind.«
Ich hatte es langsam satt. »Sie sind der Dritte, den ich das sagen höre«, brauste ich auf. »Dwyer wollte Enhance Leuten wie sich selbst vorbehalten. Schwadron auch. Jetzt Sie. Es ist schon komisch. Niemand denkt, er wäre des 109 vielleicht nicht würdig. Es sind immer die anderen, denen man nicht trauen kann. Aber jetzt zurück zu den Codenamen in Ihrer Liste. Gehören die zu Ihrem Six-Thirty-Club?«
Hinter seinen Augenlidern klickten die Gedanken wie die Perlen an einem Abakus. Es schien ihn zu überraschen, dass ich von der Gruppe wusste. »Es ist lediglich eine Studiengruppe, Mr Acela. Nichts weiter. Wir treffen uns hin und wieder und diskutieren über Bücher und Politik. Das tun die Menschen in Washington nämlich. Sie reden miteinander.«
Ich fragte mich: Warum wirkt die Droge noch nicht?
»Sie sind ein Fanatiker«, sagte ich.
»Das liegt im Auge des Betrachters. Für die Römer war Christus ein Fanatiker. Übrigens wird Colonel Otto bald anrufen, und wenn ich nicht ans Telefon gehe, kommt er persönlich nachsehen. An Ihrer Stelle würde ich zusehen, dass ich bis dahin verschwunden bin.«
»Warum es dann erwähnen? Wäre es Ihnen nicht lieber, wenn er uns erwischt?«
Er zuckte die Achseln. »Nicht wenn ich dabei ins Kreuzfeuer gerate. Ich kann im Moment schlecht in Deckung gehen, wenn plötzlich die Kugeln fliegen. Ich sage die Wahrheit, und das wüssten Sie auch, wenn das Enhance funktionieren würde. Aber die Droge baut sich rasch ab. Danach ist sie wirkungslos. Das war das Problem mit der Synthese. Sie haben es vor vier Stunden geschluckt, und die Wirkung ist ausgeblieben. Wertlos.«
Er lächelte breit. »Tut mir leid«, sagte er.
Ich schlug ihn, weil ich befürchtete, er könnte recht behalten. Weil Kim tot war. Ich schlug ihn aus den richtigen und den falschen Gründen. Es war mir unmöglich, damit aufzuhören, und Danny ließ mich gewähren. Ich fühlte mich hilflos. Aber ich war kein Folterknecht. Irgendwann überwog die Scham meinen Zorn. Ich sah mich selbst, wie ich auf einen hilflosen Mann einschlug, und hörte auf.
Selbst das war ein Fehlschlag.
Danny sagte. »Du gehst besser raus, Mike. Ich habe keine Probleme damit, alles aus dieser Kröte herauszuprügeln.«
Ludenhorff sagte: »Otto kommt gleich.«
Die Uhr schlug. Das Telefon klingelte, wie er es vorhergesagt hatte. Colonel Ottos vertraute Stimme kam körperlos aus dem Anrufbeantworter. »Wo sind Sie, Sir? Stimmt etwas nicht?«
»Zwanzig Minuten«, sagte Ludenhorff.
Plötzlich hörte ich ein Scharren hinter mir. Ich wirbelte herum und sah, dass Danny so schnell aufgestanden war, dass sein Stuhl umfiel. Ich dachte, er hätte die Gewalt über sich verloren. Aber er starrte mit offenem Mund und großen Augen auf seine Handgelenke.
Zu Ludenhorff sagte er: »Sie sind gar nicht so
Weitere Kostenlose Bücher