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Serum

Serum

Titel: Serum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Reiss
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Garten schleifte. Paul war klein und hilflos gegen den kräftigen Mann mit den zotteligen blonden Haaren. Trotzdem drosch er mit den Fäusten auf ihn ein. Sein Angreifer merkte es kaum. Wie immer konnte ich Pauls Gesicht nicht erkennen, nur ein verschwommenes Oval, wie von einer unscharf eingestellten Linse.
    Vermutlich besuchte Paul mich in unterschiedlichen Formen, weil ich ihn nie gekannt hatte. Er manifestierte sich einfach als die jeweilige Version kindlicher Liebe, die mir an diesem Tag begegnet war. Er konnte gekleidet sein wie ein Junge, den ich beim Lenox-Firmenpicknick für Vater und Sohn gesehen hatte, oder einer, der zufällig mit seinen Eltern an mir vorbeigeradelt kam.
    Jetzt sah ich, wie der Entführer Paul zu einem Auto zerrte, in dem Dwyers Leiche saß. Die toten Augen starrten mich unverwandt an, als wollte er mir etwas sagen, aber ich wusste nicht, was. Soldaten umringten den Wagen. Ich musste verhindern, dass sie meinen Sohn in das Auto schafften, aber ich konnte mich nicht bewegen.
    Und dann stand der Mann aus dem Park neben mir im Schlafzimmer, während er gleichzeitig draußen war und die Tür des Wagens aufzog. Ich wollte schreien. Hände zerrten den Jungen hinein, während die Soldaten untätig herumstanden. Es war, als sähe man ein Tier im Schlund einer Schlange verschwinden.
    Der Mann dicht neben mir sagte mit Eisners Stimme: »Ich bin froh, dass Sie den Deal nicht angenommen haben, Mike.«
     
    Ich erwachte auf Kims Couch. Sonne strömte durch die Fensterfront. Die Laken waren durchgeschwitzt, die Panik des Traums lauerte noch wie das Echo eines Trommelwirbels in meiner Brust. In das Rumpeln der Lastwagen auf der Straße mischten sich Hupen und Sirenengeheul. Die Realität des Tages begann, die Schrecken des Traums zu verdrängen. Ich roch Kaffee und tappte zur Küchentheke, wo neben einem Souvenirbecher aus Vermont ein Zettel lag.
     
    »Bin joggen. Nimm dir Kaffee. Deine Kleider sind im Trockner. «
     
    Du bist allein aus dem Haus?, dachte ich, und plötzliche Angst schnürte mir die Kehle zu.
    Danny war um Mitternacht nach Hause gegangen. Ich sah aus dem Fenster – genau wie im Traum –, und mein Herz sank, als ich den Lenox-Wachtposten unten stehen sah. Es war der von der Tagschicht, ein Trottel im beigen Anzug, der Kaffee schlürfte und faul an einer Straßenlaterne lehnte. Dabei musste er doch gesehen haben, wie Kim aus dem Haus ging.
    Wütend griff ich nach dem Handy, rief in der Sicherheitszentrale an und ließ meinen Anruf zu dem Mann durchstellen. Er klappte lässig sein Telefon auf, während ich in meine Hosen fuhr und den Apparat mit der Schulter festklemmte.
    »Connors«, meldete er sich träge. Anscheinend hatte der Kaffee zum Aufwachen nicht gereicht.
    »Mike Acela hier«, bellte ich. »Sie ist beim Joggen! Was stehen Sie hier so herum?«
    Er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte, versuchte sich aber herauszureden. »Sie meinte, das wäre in Ordnung. Und da Sie ohnehin hier sind, dachte ich …« Er verstummte. Aber es war klar, was er meinte. Wenn Kim und ich ein Liebespaar waren und ich mich in ihrem Apartment aufhielt, musste er ihren Anordnungen folgen.
    »Sie ist nach Westen, zum Fluss«, fügte er hinzu, wie um seinen Fehler wieder ein wenig auszubügeln.
    »Besorgen Sie sich ein Taxi. Fahren Sie nach Süden, am Laufweg entlang. Wenn Sie sie sehen, bringen Sie sie hierher zurück. Ich nehme die andere Richtung.«
    »Tut mir leid, Mr Acela.«
    Ich zog mich fertig an und verzehrte mich vor Ungeduld, während der Aufzug quälend langsam nach unten gondelte. Ich erwischte sofort ein Taxi; sie kamen hier ständig leer vorbei, nachdem sie ihre Passagiere an der City Hall abgesetzt hatten. Ich sagte dem Fahrer, er solle den West Side Highway nehmen und in der rechten Fahrspur bleiben, und zwar so langsam, wie der Verkehr es zuließ. Schließlich lag die Laufstrecke jenseits von sechs dichtbefahrenen Spuren. Ich wusste nicht, welche Kleidung Kim trug, und um sechs Uhr morgens waren viele Leute beim Joggen.
    Dieser Alptraum war real. Ich musterte die Jogger und Spaziergänger am Ufer des Hudson. Im Sommer bevorzugten die Sportler den frühen Morgen, denn später schossen die Temperaturen in die Höhe. Es mussten bereits an die hundert eifrige Läufer unterwegs sein.
    Da! Ich sah sie, allein, in flottem Trab.
    Erleichterung durchflutete mich. Aber dann erkannte ich den Mann zehn Meter hinter ihr, ebenfalls in Joggingkleidung, der problemlos ihr Tempo mithielt. Sein

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