Serum

Wissensdurst, wie man ihn manchmal gerade bei Menschen antrifft, die nicht studiert haben.
    »Pilocarpin gegen grünen Star«, sagte sie, »vom Jaborandibusch in Amazonien. Glaziovin, ein Antidepressivum. Und aus der Rinde der Pazifischen Eibe gewinnt man ein Heilmittel gegen Eierstockkrebs.«
    »Asa Rodriguez«, bettelte Danny.
    »Er war als freier Mitarbeiter an der Suche des National Cancer Institute nach Heilmitteln beteiligt. Ein Gift, das eine Pflanze oder ein Tier zur Verteidigung einsetzt, könnte gleichzeitig auch gegen Krankheiten wirksam sein. Als die Mittel gestrichen wurden, arbeitete er auf eigene Faust weiter. Er hatte da eine Theorie. Wisst ihr, er lebt in Key West, wo diese Schatzjäger die alte Galeone gefunden haben, die Atocha. Erinnert ihr euch? Sie suchten fünfzehn Jahre lang danach und hoben dann Gold und Juwelen im Wert von vierhundert Millionen Dollar.«
    »Was hat Schatzsuche mit Medizin zu tun?«, stöhnte Danny.
    »Ich dachte immer, ihr Indianer wärt so geduldig.«
    »Wer hat dir denn den Blödsinn erzählt?«
    »Ist das deine Geschichte oder meine?«
    »Stopp«, sagte ich. »Alle beide.«
    »Tut mir leid«, meinte sie. »Tja, Asa wusste, dass man die Atocha mit Hilfe alter Aufzeichnungen aus dem sechzehnten Jahrhundert in einem Archiv in Madrid entdeckt hatte. Er kam auf die Idee, dasselbe mit medizinischen Berichten zu versuchen, und durchforstete Kolumbus’ Logbücher aus der Karibik nach Informationen, ob die karibischen Indianer – die die Spanier später ausrotteten – Kenntnisse über Heilmittel aus dem Meer besaßen.«
    »Gute Idee«, meinte Danny und rieb sich nachdenklich die Wange. »Meine Urgroßmutter pflückte da immer so ein Unkraut auf Long Island. Wenn meine Brüder und ich Halsweh hatten …«
    »Ach ja, jetzt fängst du an, Geschichten zu erzählen«, spottete Kim.
    Danny legte seine große Pranke auf ihre schmale Schulter und sah dabei mich an. »Sag ich’s dir nicht immer, Mike?« Er meinte damit, ich sei ein Narr, diese Frau nicht zu lieben.
    »Was sagst du ihm immer?«, wollte sie wissen.
    »Geheim.«
    Kim rümpfte die Nase. »Asa fand tatsächlich einen Hinweis auf einen Fisch, dessen zermahlene Rückenflossen ein Heilmittel gegen Schmerzen in den Händen sein sollten. Er vermutete, damit wäre Arthritis gemeint. Er bekam Gelder von Lenox, um nach diesem Fisch zu suchen.«
    »Und er hat ihn gefunden«, setzte ich fasziniert nach.
    »Nach vier Jahren. In einem neu entdeckten Korallenriff, aber er verriet nicht, wo. Er verarbeitete das Material entsprechend den Vorschriften und schickte den Extrakt zum Testen an Ralph Kranz.«
    »Kranz«, meinte ich trocken. »Ausgerechnet. Hat Asa erwähnt, wie der Extrakt aussah?« Ich dachte an die Substanz aus dem Arzneimittelfläschchen.
    »Danach habe ich nicht gefragt.«
    Kim runzelte betroffen die Stirn, als hätte sie etwas Wichtiges übersehen. »Du machst das großartig«, beruhigte ich sie. »Was hat Kranz mit dem Zeug angestellt?«
    »Es getestet, aber es wirkte nicht.« Damit bestätigte Kim, was Bill Keating mir heute Morgen erzählt hatte.
    Enttäuscht fragte ich: »Aber was war dann so wichtig, dass Asa extra aus Florida hergeflogen ist, um den Vorsitzenden zu sprechen?«
    »Asa hatte auf eigene Faust noch einmal ein Serum hergestellt und an Einheimischen getestet. Kranz versuchte es mit Tieren. Asa fand menschliche Freiwillige.«
    »Du meinst, es hat doch gewirkt?«, erkundigte sich Danny und hob abrupt den Blick.
    Kim schüttelte den Kopf. »Nicht gegen Arthritis, aber Asa erwähnte eine Nebenwirkung. Darum wollte er Dwyer sprechen. Ich habe noch nie im Leben jemanden gesehen, der so aufgeregt war.«
    Mein Puls beschleunigte sich. Sie griff nach ihrem Weinglas, während Danny und ich unisono sagten: » Nebenwirkung?«
    Viele pharmazeutische Durchbrüche beginnen mit einem falschen Ansatz, dessen Nebenwirkungen sich dann als segenbringend erweisen. Viagra war ursprünglich zur Verbesserung der Sauerstoffaufnahme des Bluts gedacht. Die haarwuchsfördernde Wirkung von Minoxidril war ebenfalls ein Nebeneffekt. Würde Aspirin heute erfunden, hatte mir der Vorsitzende einmal erklärt, wäre es verschreibungspflichtig, weil es Herzanfällen vorbeugt und nicht nur Fieber senkt.
    Danny und ich spürten jene Erregung, die sich einstellt, wenn die Fäden einer Ermittlung zusammenzulaufen beginnen, sich verknüpfen und ein Muster ergeben.
    »Für welche Art von Nebenwirkung würde sich wohl der militärische Geheimdienst