Serum
zurückzuziehen. Ein einzelner Perlenstrang umschmeichelte ihren Hals. Die Küche war klein und zitronengelb gestrichen, das offene Fenster umrahmt von Farnen und Blumenampeln. Aus dem Hinterhof strömte ein Duft nach Eukalyptus herein.
»Kommen Sie mit Ihren Eltern gut aus, Mike?«, fragte sie schließlich.
»Früher ja. Sie sind tot.«
»Vermissen Sie sie?«
»Ja. Aber …« Ich dachte zurück. »Meine Mutter war jahrelang krank, und es war«, sagte ich, nach Worten ringend, »auf schreckliche Weise eine Art Erleichterung, als sie starb. Ich hasste dieses Gefühl. Ich hoffe, es hatte nie einen Einfluss darauf, wie ich mit ihr umging.«
Sie brach einen winzigen Bissen Sesambrötchen ab. »Sind Sie immer so offen?«
»Ich glaube nicht, dass Sie mir gegenüber offen wären, wenn ich es nicht auch bin.«
»Eine gute Intuition schätze ich an einem Mann. Na schön. Ich … Als Kind dachte ich immer, es wäre meine Schuld, dass er sich so verhielt. Dass er meinetwegen nie zu einer vernünftigen Zeit nach Hause kam und nie mit uns in den Urlaub fuhr. Ich dachte, ich hätte ihn verärgert. Wenn er auch nur die kleinste kritische Bemerkung machte, parierte ich. Ich arbeitete hart daran, mich zu ändern. Dann sah ich auf die Uhr, ob er jetzt früher heimkam, ob er mal mit mir sprechen und nicht nur meine Zeugnisse durchlesen würde.«
»Er war ein Workaholic.«
»Er war ein Vermeider. Erst als ich älter wurde, begriff ich, dass er Nähe nicht ertragen konnte. Es lag nicht an mir. Wie heißt es? Erst lieben Kinder ihre Eltern. Nach einer Weile verstehen sie sie. Aber fast niemals, wenn überhaupt, verzeihen sie ihnen. Er hat Mom nicht betrogen, und er bezahlte immer die Rechnungen. Er hasste einfach den Gedanken, dass jemand emotional von ihm abhängig war. Also vergrub er sich in Arbeit oder Politik und umgab sich mit Bewunderern, die am Abend nach Hause gingen. Er hielt ihnen Vorträge. Irgendwann begriff ich das und gab auf.«
»Aus einem bestimmten Anlass?«
»Weil mir bei einem bestimmten Anlass das Schema klarwurde. Ich war bei Mom, als sie starb, zu Hause. Ihre Augen wanderten immer wieder zur Schlafzimmertür. Sie hatte ihr Leben damit verbracht, auf ihn zu warten, und immer noch hatte sie diesen hoffnungsvollen Gesichtsausdruck. Ich schwor mir, dass mir das nie passieren würde.«
»Das ist eine schlimme Geschichte.«
Sie zuckte die Achseln. »Ich wünschte ihm nichts Schlechtes. Ich sah nur nicht ein, warum ich so tun sollte, als hätten wir eine Beziehung zueinander. Wollen Sie wissen, was ich glaube, warum es ihm wirklich etwas ausmachte, dass wir nicht mehr miteinander redeten?«
»Es war ihm peinlich vor anderen Leuten?«, riet ich.
»Ich schätze Intelligenz an einem Mann«, sagte sie.
»Und was schätzen Sie nicht?«
»Intimität.«
Wir betrachteten uns eine Weile schweigend. Plötzlich verstand ich den Blick, den sie mir in Washington zugeworfen hatte. Sie fühlte sich ebenfalls von mir angezogen.
»In Bezug auf die Firma kann ich Ihnen nicht weiterhelfen«, meinte sie. »Aber was meinen Vater und seine Motive betrifft: Er fiel grundsätzlich darauf herein, wenn ihn Fremde bewunderten. Und weil er nie zuließ, dass Menschen ihn kennenlernten, kannte er sie selbst auch nicht.«
»Das ist ein hartes Urteil.«
»Nur zutreffend.«
»Sie haben Ihr Omelett gar nicht angerührt.«
»Morgens habe ich selten Hunger«, sagte sie und lächelte. »Aber bei Nacht bin ich heißhungrig.«
»Haben Sie je von einem Forschungsprojekt namens HF-109 gehört?«
Der Hund blieb alle paar Schritte stehen und sah sich verwirrt nach uns um, legte den Kopf schief und versuchte, mit seiner Hundelogik meine Anwesenheit zu ergründen. »Audrey ist es nicht gewohnt, mich teilen zu müssen«, meinte Gabrielle. »Sie haben ihren Alltag durcheinandergebracht. Und wie gesagt, ich bin der falsche Ansprechpartner, was die Firma anbetrifft. Nein, nie von HF-109 gehört.«
»Hat Ihr Vater je den Hamilton Club erwähnt? Er hat an seinem letzten Abend dort diniert. Mit Keating und Schwadron.«
»Solche Orte liebte er. Man kommt nicht hinein, außer man wird nominiert, und man wird nicht nominiert, außer man ist sehr erfolgreich. Abstammung zählt nicht. Geld zählt nicht. Leute wie wir, nannte er die Mitglieder. Leute, die in führender Position sein sollten, ohne sich um Quoten und Beschränkungen kümmern zu müssen. Das waren seine Worte.«
Ich fragte überrascht: »Schwarze? Frauen? Welche Quoten?«
»Es ging
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