Serum
außer Kontrolle«, ergänzte Kim. »Carbone will mehr, als Dwyer zu geben bereit ist. Ende der Freundschaft. Ganz zu schweigen davon, dass Carbone inzwischen auch weg vom Fenster ist.«
»Was sollen wir also tun?«, fragte Danny. »Der Polizei die Disk geben?«
Ich schüttelte den Kopf. »Die beweist gar nichts. Sie beweist nicht, dass ich unschuldig bin. Und sobald die Cops sie haben, machen sie damit dasselbe wie mit der Liste. Sie geben sie Eisner.«
»Die Presse?«, schlug Kim vor. »Alles ins Internet stellen?«
Danny schnaubte. »Ja, eine geheime Formel, damit die ganze Welt sich dran versuchen kann. Willst du Reportern dein Leben anvertrauen, Mike? Oder derjenige sein, der dem Islamischen Dschihad HF-109 auf dem Silbertablett überreicht?«
»Danny hat recht«, sagte ich. »Vielleicht erfahre ich morgen auf der Party mehr. Gabrielle, Sie sagten doch, dass alle da sein werden, mit denen Keating Geschäfte macht, richtig? Ich muss da hin.«
»Wenn Sie nicht vorher verhaftet werden.«
Danny gähnte. Es war mittlerweile zwei Uhr morgens, und wir waren alle erschöpft.
»Mein Cousin trifft sich morgen früh mit uns und kann uns hoffentlich erklären, wie die Droge funktioniert. Heute Nacht schlafen wir alle hier. Gabrielle, Sie nehmen das Schlafzimmer oben. Kim, du bleibst hier. Mike und ich nehmen die Sofas im Wohnzimmer.«
Draußen in der Nacht hörten wir Sirenen näher kommen, aber sie verklangen wieder. Danny und Gabrielle holten das Bettzeug und ließen Kim und mich allein.
»Mike, wie hast du die Droge erlebt?«, fragte sie.
Ich setzte mich aufs Bett, über dem das Poster eines olympischen Schwimmstars hing. Unschuldige Helden. »Alles war ganz klar und deutlich.«
»Möchtest du mehr davon haben?«
Ich dachte über ihre Frage nach. Die Antwort gefiel mir nicht. Irgendwie.
»Weißt du«, sagte sie und setzte sich neben mich, so dass unsere Beine sich berührten. »Nachdem du Danny von dem Mord in Florida erzählt hattest, gingen wir ins Internet und haben die ganze Geschichte nachgelesen. Was hast du denn geglaubt? Dass wir dich im Stich lassen?«
»Ich wollte euch nicht noch mehr in Schwierigkeiten bringen.«
Sie lehnte sich an mich, und ich dachte, sie wollte mich küssen, aber in ihrem Gesicht lag wieder diese Traurigkeit.
»Heute Nacht haben wir nur herumgeraten«, sagte sie.
Als ich die Augen aufschlug, zeigten die roten Leuchtziffern der Uhr 04:55. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Durchs Fenster schien die Mondsichel. Danny schnarchte leise auf der Couch gegenüber. Seine großen Füße ragten unter der dünnen Decke hervor.
Ich bemühte mich, leise zu sein, während ich aufstand, meine Schuhe in die Diele trug und aus dem Haus schlüpfte. Einen Block weiter hörte ich die Brandung. Das Geräusch erinnerte mich an meine Kindheit. Alle Fenster waren dunkel, und der Mond hing tief über den steilen Hausdächern. Mehrere Gestalten saßen über den Block verteilt unter kleinen Vordächern.
Dannys privater Wachdienst.
Ich ging eine Weile am Strand spazieren. Er sah sauber aus, zumindest im Dunkeln. Abfallkörbe aus Draht standen im herangekarrten Sand, schief wie halbbetrunkene Wachtposten. Von dem Holzsteg hinter mir drang ein teeriger Geruch, und ein Dunst von Stadt und Meer hing in der Luft, eine Mischung aus Seeluft und den allgegenwärtigen Dieselabgasen. Ein heller Streifen Mondlicht tanzte auf den Wellen. Ich sah grüne Positionslichter auf dem Meer, vermutlich von einem Trawler, der zum Fischmarkt unterwegs war.
Der Ozean wirkte wie abgeschnitten von der Stadt, eine eigene Wesenheit, die mit unbegrenzten Möglichkeiten lockte, ein Horizont, der das eigene kleine Selbst überragte. So hatte ich als Teenager in Devil’s Bay am Meer gestanden, wenn ich nicht schlafen konnte, und von Veränderungen geträumt.
Jetzt war ich in den Vierzigern und starrte immer noch sehnsüchtig auf den Ozean hinaus, zu einem Punkt, wo die Dinge verschwanden, statt klarer zu werden.
»Mike?«
Sie kam leise und mit bloßen Füßen durch den Sand. Ein offenes Kapuzenhemd mit Reißverschluss hing ihr über den schmalen Schultern. Ihr Haar glänzte. Die Augen waren groß.
»Tut mir leid, dass ich vorhin wütend geworden bin«, sagte Kim. »Es war nicht deinetwegen.«
»Das wäre auch in Ordnung gewesen.«
»Was sind wir, Mike? Freunde? Oder was? Ich mache dir keine Vorwürfe. Vor langer Zeit, nach Chris’ Vater, habe ich mir geschworen, dass es keine Liebhaber mehr gibt. Nur gute Freunde.
Weitere Kostenlose Bücher