Settlers Creek
denken, was Liz ihm am Telefon gesagt hatte. Jetzt aber, da er tatsächlich hier war, lauerten ihre aufgeblähten, giftigen Worte hinter dieser Tür und würden sich auf ihn stürzen, sobald er die Klinke berührte.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Ja.«
»Ich habe gesagt, es macht fünfundsechzig Dollar.«
»Okay.«
Box gab dem Taxifahrer seine Kreditkarte und unterschrieb den Papierstreifen. »Danke.«
»Gerne. Einen schönen Tag noch.«
Er stieg aus und schlug die Tür zu. Er stand im Nieselregen auf dem Gehsteig, die Tüte in der Hand. Er schaute dem Taxi nach, das am Ende der Straße nach links abbog, ohne zu blinken. Trotz des Regens waren alle Rasenflächen an der Straße praktisch ganz verdorrt. In diesem östlichen Teil der Stadt bestand der Boden aus Sand. Hier einen Garten anzulegen war so gut wie unmöglich. Kümmerliches gelbes Gras, Geranien, Kohlbäume – das war schon alles, was zwischen sozialem Wohnungsbau und Straßenzügen mit Mietshäusern wuchs. Nicht daß die Anwohner von Box’ Straße allzu engagierte Gärtner gewesen wären, sah man einmal von der Familie drei Häuser weiter ab, die in ihrem Vorgarten Autowracks züchtete. Und vermutlich unterm Dach Gras in Hydrokulturen. Liz hatte ihm am Telefon erzählt, daß in den letzten zwei Wochen in ihrer Straße dreimal eingebrochen worden war.
Box atmete tief ein und langsam wieder aus. Er schaute die Straße hinauf und hinab und dann zum zementfarbenen Himmel. Schließlich zwang er seine Beine zum Gehen. Er überquerte die Straße und schritt langsam auf sein Haus zu. Er fürchtete sich vor dem, was ihn drinnen erwartete.
***
Das erste, was Box wahrnahm, als er die Tür geöffnet hatte, war der Geruch nach frischem Gebäck. Er stand auf der Veranda, hatte die Türklinke noch in seiner rissigen Bauarbeiterhand und sog den Duft frischer Scones ein. Scones und Walnußcookies. Und frisch gebrühter Kaffee – im Haus roch es wie in einem Café.
Er blieb auf der Schwelle stehen und schnupperte wie ein argwöhnischer Hund in den langen Korridor, der das ganze Erdgeschoß durchlief. Er hörte ein Summen wie aus einem Bienenstock, eine unbekannte Stimme in der Küche am anderen Ende. Die Gerüche und Geräusche ließen ihn zweifeln, ob er sich im richtigen Haus befand. Und dann kam er sich lächerlich vor. Er wollte Zeit schinden, zögerte hineinzugehen, aus Angst, was dann kommen würde.
Heather trat aus ihrem Zimmer. Sie sah ihn, erstarrte, und dann fiel ihr sommersprossiges Gesicht auseinander und verschwand unter Tränen.
Das setzte Box endlich in Bewegung: das verweinte Gesicht seiner Tochter, ihre entsetzliche Not. Es brach ihm das Herz. Er ging zu ihr und schlang beide Arme um ihren schluchzenden, zitternden Körper. Heather war fünfzehn. Ihr Kopf paßte wie ein Puzzleteil unter sein Kinn. Ihre Stirn drückte gegen seine Brust, und er umfaßte ihren Hinterkopf mit einer Hand. Sie rang nach Luft.
»Es ist gut, Liebes, alles wird gut.«
Das klang abgedroschen und lächerlich, selbst für ihn. Doch was gab es sonst zu sagen?
Und dann stand Liz im Flur. Box sah nicht, aus welchem Zimmer sie gekommen war. Ihre Blicke trafen sich, er konnte es nicht ertragen und schaute weg. Untröstlich. Ein anderes Wort fiel ihm nicht ein. Untröstlich sah sie aus und noch schlimmer. Er hob einen Arm, um Platz für sie zu machen. Liz war so schlank, wie sie bei ihrer ersten Begegnung gewesen war, und nur wenig größer als Heather. Box hatte mehr als genug Platz für sie beide.
Sie drängten sich im Niemandsland des Flurs zusammen. Box’ Augen blieben irgendwie trocken. Liz und Heather schluchzten, schnappten nach Luft durch Tränen und Rotz und Schleim; Ausscheidungen des Schmerzes, die sich in Box’ Sweatshirt ergossen.
So also ist das jetzt, dachte er. Das ist es, was übrigbleibt, das hier in meinen Armen. Box kam sich vor wie ein Überlebender eines verheerenden Erdbebens. Es war ihm nur das geblieben, was er festhalten konnte.
Er hatte kein Zeitgefühl mehr, sie standen vielleicht seit fünf Minuten so da, wahrscheinlich aber viel länger. Seit diesem Anruf von Liz vergingen manche Minuten wie Sekunden, andere vergingen gar nicht. Seine ganze Welt bestand nun aus dieser schluchzenden Umarmung, so primitiv wie zeitlos.
Schließlich spürte er, wie Liz sich leicht zurücklehnte. Sie trocknete mit dem Ärmel ihre Augen.
»Bitte verzeih mir«, sagte er.
»Was?«
»Daß ich nicht da war.«
»Ist nicht deine Schuld. Es war einfach schlechtes
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