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Settlers Creek

Settlers Creek

Titel: Settlers Creek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Nixon
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begannen seine Fingergelenke wieder zu schmerzen, vielleicht nur deshalb, weil er an sie gedacht hatte. Er sah auf seine Hände hinab, die Knöchel waren angeschwollen und blau verfärbt. In seinen Füßen pochte es.
    Der Wetterbericht um sechs Uhr morgens hatte gewarnt, daß am Nachmittag aus südlicher Richtung ein Unwetter aufziehen würde, aber jetzt strahlte der Himmel noch makellos blau. Es war der dritte Sonntag im April, sehr früh am Morgen, die Herbstsonne war erst vor einer halben Stunde aufgegangen. In der Nacht hatte es heftigen Wind gegeben, doch er hatte sich vor Tagesanbruch gelegt. In der klaren Luft waren im Norden die Ausläufer der südlichen Vororte der Stadt auszumachen. Die Häuser drängelten sich die Hügel hinauf: rote, orangefarbene und weiße Dächer über briefmarkengroßen Rasenstücken, dazu die hartrandigen, schnurgeraden Linien der Straßen, die an diesem Sonntagmorgen noch menschenleer dalagen. Von seinem Hügel aus konnte er auf die weitläufigen Sportplätze der örtlichen Grundschule schauen und auf eine weichgezeichnete Reihe alter Weiden und Pappeln dahinter, die den Flußlauf erkennen ließ. Jenseits davon die Ansammlung von Hochhäusern im Stadtzentrum, hinter denen sich am Horizont im Westen die Berge abzeichneten; sie wirkten zum Greifen nahe, lagen aber gut zwei Autostunden entfernt.
    Der alte Mann arbeitete sich unterhalb des Wanderwegs voran, fast bis zu den Knien im nie gemähten Gras, das höchstens ab und an ein paar Schafe sah. Er hörte zwei eifrige frühe Mountainbiker, die sich zwischen heftigen Atemstößen abgehackt unterhielten, während sie sich den Berg hinaufkämpften. Wegen der Bäume konnte er sie jedoch nicht sehen. Die Sonne schien auf die Felsnase über ihm, während seine Seite des Hügels, die westliche, bis ins Tal hinunter im Schatten lag. Als er den Kopf hob und zu den hohen Monterey-Kiefern hinüberschaute, sah er seinen Atem in der kalten Morgenluft. Unterhalb des Wegs standen etwa ein Dutzend Kiefern eng zusammen. Sie hatten sich zum größten Teil selbst ausgesät und waren so dicht gewachsen, daß sich ihre Zweige ineinander verschlangen. Die Nadeln lagen in einer so dicken Schicht darunter, daß dort nichts wuchs. Da konnte man leicht ausrutschen.
    Er hatte während des Gehens auf den Boden gesehen, doch jetzt, als er nahe genug bei den Bäumen war, hob er den Blick.
    »O Gott!« Seine Stimme zerriß die Morgenstille. Keine Schaufensterpuppe. Natürlich nicht. Wie hatte er das nur denken können? »O Gott! Um Gottes willen!« Splitterfasernackt. »Gott!« Leiser diesmal.
    Der Kopf war leicht in den Nacken gelegt, angehoben von dem dicken Knoten. Das Kinn wies auf die ersten kahlen Zweige. Die Augen waren geschlossen, und der Mann dankte im Stillen dafür. Unwillkürlich starrte er auf das Schamhaar. Die dunkle Nacktschnecke darin, der Penis.
    Der tote Mann – nein, nicht mal alt genug dafür, vermutlich noch ein Teenager, der arme Kerl –, der Fast-Mann also, der Junge hatte seine Sachen ordentlich zusammengelegt und in einer Vertiefung zwischen den Baumwurzeln gestapelt.
    »O mein Gott«, dachte er.
    Dieser Junge war im Begriff, sich zu erhängen, und hatte sich noch die Mühe gemacht, seine Kleider zusammenzufalten. Der alte Mann staunte. Oben auf dem Stapel die Bluejeans. Der schwarzglänzende Ledergürtel lag aufgerollt daneben.
    Er spürte sein Herz hämmern, als wäre er den ganzen Weg aus dem Tal hochgerannt. Er trat näher heran. Mit einem Blick erkannte er, wie der Junge es bewerkstelligt hatte. Ein Drahtzaun lief den Hügel hinauf und trennte ein Privatgrundstück von dem stadteigenen Naturschutzgebiet mit seiner Neupflanzung von Flachs und diesen blödsinnigen Kohlbäumen. Der Junge muß auf den nächstgelegenen Zaunpfahl geklettert sein, das Seil über den Ast geworfen und verknotet haben. Dann hat er sich die Schlinge um den Hals gelegt. Und ist gesprungen. So einfach war das.
    Der Mann wandte den Blick von der baumelnden Leiche und schaute über die Stadt. Er atmete tief ein. Der Herbsthimmel war blau, weit und wolkenlos. Er spürte einen Schweißausbruch auf der Stirn. In den Handflächen dasselbe. Er wischte sich die Hände an der Hose ab und fragte sich, wie lange der Junge da wohl schon hing. Die Bäume schützten ihn vor den Blicken der frühmorgendlichen Jogger und Mountainbiker, aber sicher nicht den ganzen gestrigen Tag schon, nicht so lange. Irgend jemand hätte ihn entdeckt.
    Das Haus des Mannes war das drittletzte an

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