Settlers Creek
sollen.«
»Vielleicht. Aber manchmal brauchen Teenager auch jemanden, der sie bei der Hand nimmt. Oder es ist die Aufgabe der Eltern, es zumindest zu versuchen.« Sie lachte schrill auf, um ihre Worte zu unterstreichen.
»Wir haben tagelang darüber diskutiert. Wenn ich mich nicht so aufgeregt hätte, hätte er sich’s vielleicht noch mal überlegt.«
»Oder auch nicht.«
»Er war schon immer dickköpfig. Seit er klein war. Gab sich nie geschlagen. Ich konnte ihn in sein Zimmer sperren oder in die Garage. Selbst ein Klaps auf den Hintern, wenn er ein Verbot übertreten hatte, half da nicht. Er verzog höchstens das Gesicht.«
Box senkte den Kopf auf die Brust und schloß die Augen. Er atmete durch die Nase aus. Es war keine gute Idee, die Augen zu schließen. Im Dunkeln verlor er die Orientierung. Als sich die Kabine zu drehen begann, öffnete er die Augen wieder und versuchte sich auf die Lehne des Vordersitzes zu konzentrieren.
»Geht es Ihnen nicht gut?«
Offenbar machte er sie nervös. Sie schaute unverwandt in ihr Magazin. Er war sicher, daß sie inzwischen das Bier gerochen hatte.
»Entschuldigung, ich wollte gar nicht soviel reden.«
Sie lächelte dünn. »Das ist schon okay. Wie alt ist Ihr Sohn denn jetzt?«
»Neunzehn.«
»Ein gutes Alter. Ich glaube, mit neunzehn fangen die Jungen an, ihre eigene Persönlichkeit auszubilden. Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne lesen.«
Box antwortete nicht, konnte nicht antworten. Er wandte rasch den Kopf und schaute aus dem kleinen Fenster. Das ovale Fenster, dachte er – wie in der Kindersendung Play School. »Was sehen wir denn heute in unserem ovalen Fenster?« wurde da gefragt. Und dann sah man Aufnahmen von einem Lamm, einem Berg im Frühling oder von Wolken. Wolken. Das Flugzeug war gestartet und flog durch dunkle Wolken, die so dicht waren, daß manchmal sogar die Spitze des Flügels darin verschwand. Regentropfen rannen schnell über das dicke Glas, vom Luftstrom getrieben. Er erinnerte sich nicht daran, daß die Maschine auf die Startbahn gerollt war, ebensowenig an den Druck gegen die Brust beim Abheben. Ihm war noch immer übel, und er starrte aus dem Fenster auf die Düse und die regengesättigte Luft, die über den Flügel strömte. Das Flugzeug schlingerte und fiel in ein Luftloch.
Box bat seine Nachbarin, ihn durchzulassen, und stand auf. Er mußte sich bücken, um nicht gegen das Gepäckfach zu stoßen. Die Frau drehte sich halb in ihrem Sitz, und Box zog den Bauch ein, um sich an ihr vorbeizuschieben. Die Passagiere wandten den Kopf nach ihm, als er den Gang entlang nach hinten eilte. Dort saß die Stewardeß noch angeschnallt und warf ihm einen mißbilligenden Blick zu, als er in die einzige Toilette schlüpfte und die Falttür hinter sich schloß. Das helle Licht sprang eben erst an, als Box schon die Kappe vom Kopf zog und sich heftig in das Plastikwaschbecken erbrach. Kurz darauf übergab er sich ein weiteres Mal. Der Gestank von Galle, Käse, Schinken und Bierhefe füllte den Plastiksarg. Seine Kotze schwamm als brauner See mit halbgekauten Stücken im Waschbecken. Mehr und mehr von dieser Brühe ergoß sich aus ihm, bis sein Magen leer war.
Als er sicher war, daß nichts mehr kam, hob Box den Kopf und schaute in den Spiegel ganz dicht vor seinem Gesicht. Das helle Neonlicht leuchtete jede verstopfte Pore, jede verkümmerte Haarwurzel, jede verblaßte Sommersprosse aus. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er drehte den Wasserhahn auf und reinigte das Becken mit einem Finger und Papierhandtüchern, so gut er konnte. Dann ließ er Wasser in die zusammengelegten Hände laufen und spülte sich damit den Mund aus. Dabei vermied er den Blick in den Spiegel.
Als er schließlich fertig war, atmete er tief ein und öffnete die Falttür. Er wußte nicht, wie lange er in der Toilette gewesen war, aber zwei Passagiere warteten bereits davor. Box stellte sich vor, daß sie das meiste seiner kleinen Show dort drin gehört haben mußten, ebenso wie die Stewardeß. Er schwankte zu seinem Sitz zurück. Die Frau in den roten Jeans hatte sich auf einen freien Platz weiter hinten in der Maschine gesetzt. Sie sah nicht hoch, als er an ihr vorbeiging.
Als er wieder saß und sich angeschnallt hatte, kam die Stewardeß, die beim Einsteigen an der Tür gestanden hatte, zu ihm. Sie beugte sich über den jetzt leeren Sitz. Sie lächelte nicht. »Entschuldigen Sie bitte, aber wir würden es vorziehen, wenn Sie bis zur Landung
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