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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bard
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losfuhren. »Maria hat zuviel
gegessen, und ich hatte nicht den Mut, streng zu sein und ihr die Laune zu
verderben.«
    Dann erzählte er mir von Frank und Maria
Di Julio und Mamma Fia — Marias Mutter. Als sie Italien verließen, war Maria im
achten Monat ihrer ersten Schwangerschaft gewesen. Da Mamma Fia mit viel
Geschick die meisten Kinder in der Umgebung von Fiorino entbunden hatte, kam
sie nicht auf den Gedanken, daß man ihr nicht erlauben würde, Maria
beizustehen, nur weil die Geburt diesmal in Amerika stattfand.
    Als sie nach Ellis Island kamen und als
die Einwanderungsformalitäten erledigt werden mußten, setzten die Wehen ein,
und Maria wurde ins Krankenhaus transportiert. Auf Grund gewisser
Komplikationen — eine bisher nicht behandelte Diabetes und ein abnorm schmales
Becken — hielten die Ärzte einen Kaiserschnitt für angebracht. Einer der
Assistenzärzte, der italienisch sprach, erklärte der Mutter, Mamma Fia, und dem
Gatten, Frank, um ihre Einwilligung zu erhalten, warum die Operation nötig sei
und worin sie bestehe. Mamma Fia betrachtete das Ganze als eine Fügung des
Himmels und eröffnete von Stund an ihren langen und beinahe erfolgreichen
Feldzug gegen die amerikanischen Ärzte, die amerikanischen Krankenschwestern
und Amerika im allgemeinen.
    Mamma Fia war nicht gern ausgewandert.
Sie hatte gleich zu Anfang Maria und Frank prophezeit, sie würden sich in
Amerika nicht wohl fühlen. Weder Gottvater noch die Jungfrau Maria würden diese
lange Reise billigen. Der Kaiserschnitt sei das erste Zeichen der himmlischen
Ungnade.
    Und jetzt hatten weder Maria noch Frank
Di Julio genügend Mut übrigbehalten, um sich mit Mamma Fia zu zanken. Amerika
hatte sich schließlich doch nicht als das Eldorado lächelnder Dummköpfe
erwiesen, als das Luigi, Marias Bruder in New York, es hingestellt hatte. Das
Leben war hart und schwer gewesen. In all den Jahren, seit sie in Amerika
lebten, hatte Frank nicht mehr geschafft, als ein kleines Häuschen zu kaufen,
in dessen Erdgeschoß er seinen Friseurladen betrieb. Maria hatte die roten
Backen und den Glanz ihrer Augen verloren und war mager und mürrisch geworden.
Und nun, um das Maß vollzumachen, verlangte der amerikanische Arzt, Maria solle
mit jedem Bissen geizen, um nicht wieder in das gefürchtete Koma zu verfallen
und ›wie eine Tote« dazuliegen. Der »kleine Tod«, sagte Mamma Fia, sei Gottes
Wink, daß er mit der Nadel nicht einverstanden sei.
    Im Hause Di Julio wetzte Mamma Fia —
klein und dick — fleißig den Schnabel und fuchtelte mit beiden Armen — außen so
adrett und in der Mitte so rundlich wie eine ihrer köstlichen Ravioli. Frank
saß auf einem Stuhl und ließ die Arme schlaff zwischen den Knien herabbaumeln.
Maria lag auf dem Sofa, den Rosenkranz in der Hand, und murmelte kurze
italienische Gebete. Sie war fahl und atmete schwer — jeden Augenblick konnte
das diabetische Koma einsetzen. Jim hatte ihr die Insulinspritze gegeben und
saß jetzt abwartend neben ihr.
    »Du hast Süßigkeiten gegessen, Mamma,
das weißt du selbst. Du hast nicht aufgepaßt, du hast nicht einmal daran
gedacht!« Guido wandte sich zu Jim. »Es hat keinen Zweck, Herr Doktor. Mamma
Fia gibt Mamma immerzu Süßigkeiten. Sie versteckt die Nadel, so daß ich Mamma
keine Spritze geben kann — sie mit ihrem ewigen Italien! Mamma ist krank, und
Mamma Fia will es nicht glauben.« Er schlug verzweifelt mit der Faust gegen
seinen Baseballhandschuh und sah wie ein alter Mann aus.
    Mamma Fia watschelte hinaus und kehrte
mit einer Flasche Wein und vier Gläsern zurück. Sie reichte mir und Jim je ein
Glas und murmelte dabei übertriebene Höflichkeitsphrasen. Auf dem Tablett stand
auch eine Schüssel mit Figliata. Als Jim und ich davon kosteten, warf Mamma Fia
den Kopf zurück und lachte über etwas, das Guido ihr zuflüsterte. Sie
antwortete schnell und lachte wieder. Guido lächelte. »Sie sagt, die Figliata
scheint Ihnen zu schmecken, obwohl Sie sagen, Mamma wird davon krank. In
Italien gibt es ein Sprichwort: ›Die Natur kuriert den Kranken, und der Doktor
steckt das Geld ein.‹« Mamma Fia nickte lächelnd. Jim sagte: »Sag bitte Mamma
Fia, daß dieses System nicht auf Italien beschränkt ist. In jedem Land besorgt
die Natur selbst die meisten Kuren. Aber die Natur hat nicht gewollt, daß ihre
Kinder zuviel Süßigkeiten essen. Deshalb geben wir Maria das Insulin — um der
Natur zu helfen.«
    Guido übersetzte Jims Sermon Wort für
Wort, und Mamma Fia schüttelte

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