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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bard
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um fremde Weiber so eifrig bemühte,
was würde er dann nicht alles für die Frau seines Kollegen tun? Miss Barnes
sagte: »Mrs. Jay, mit dieser Patientin wird es eine Weile dauern. Lesen Sie
doch den Artikel hier! Er wird Sie interessieren.« Augenzwinkernd reichte sie
mir einen dick angestrichenen Artikel, betitelt: ›Du baust ein neues Leben
auf!‹ Der Verfasser riet den Frauen, viel Musik zu hören, erbauliche Bücher zu
lesen und die neue Verantwortung, die der Zustand der Schwangerschaft mit sich
bringt, gebührend einzuschätzen. Mit besonderem und trostreichem Nachdruck
wurde die »heilige und geheimnisvolle Periode vor der Entbindung» gepriesen,
und ebenso nachdrücklich wurde man davor gewarnt, sich grusligen Tratsch
anzuhören. Wenn auch nicht direkt gesagt war, man sei die einzige Frau, die ›so
etwas jemals durchgemacht hat», wurde einem doch immerhin zu verstehen gegeben,
daß man ein tapferes kleines Frauchen sei; mag auch niemand anderer es zu
schätzen wissen — der Artikelschreiber weiß Bescheid! Ich umklammerte mein
Exemplar und kam mir sehr edel vor.
    Wieder erschien Pete. »Okay, Mary, komm
‘rein! Hast du die Probe mitgebracht? Brav!«
    Und von diesem Augenblick an setzte die
Kampagne ein. ›Das Natürlichste von der Welt — du bist schwanger — na und?» Von
der Empfängnis bis zur Entbindung wird der Frau eines Arztes diese Losung
eingebleut. Auch wenn sie das Gefühl hat, sie sei die erste Frau auf Erden, die
schwanger geworden ist — und ich möchte die Frau sehen, die dieses Gefühl nicht
hätte! — , wird jeder Ansatz zur Selbstvergötterung prompt und gründlich
unterdrückt.
    Pete ist ein Koloß. Er hat lange,
kräftige Hände mit dicken, vierkantigen Fingern, die, wie sämtliche
Krankenschwestern fest behaupten, am Operationstisch so feinfühlig sind wie
Radarstrahlen. Er hatte tiefe Grübchen, schlaue, lebhafte, dunkelblaue Augen,
eine scharfe Zunge und eine bemerkenswerte Technik. Wenn er sich zu der
süßlichen Art gewisser Modeärzte herablassen wollte, würde er noch mehr
Patientinnen haben, als er ohnehin hat, und das wäre eine physische
Unmöglichkeit. Er schläft kaum anders als hie und da eine kurze Stunde lang im
Ärztezimmer des Krankenhauses, während eine seiner Patientinnen gerade auf ihr
Kind wartet. Audi Geburtshelfern würde gelegentlich eine friedliche Nacht in
ihrem eigenen Bett nicht schaden.
    »Geh nur ‘rein und zieh dich aus,
Mütterchen — Miss Barnes wird dir einen Kittel geben.« Ich wappnete mich für
die Prüfungen der Untersuchung. Aber von dem Augenblick an, da Pete das Zimmer
betrat, wo ich auf dem Untersuchungstisch lag, die Füße in den schrecklichen
obstetrischen Steigbügeln und den übrigen Körper steif wie in einem
Starrkrampf, gelang es ihm, eine restlos unpersönliche Atmosphäre zu schaffen.
Ich hatte aufgehört, eine gute Bekannte zu sein, und war nur noch eine
Schwangere unter Tausenden. Die Untersuchung war nicht nur keineswegs peinlich,
sondern eigentlich sehr interessant. Pete erklärte mir das Wachstum des Fötus
und den Vorgang der Geburt mit so viel Stolz, so vielen technischen
Einzelheiten und solcher Begeisterung, daß ich mir vorkam wie die Brüder
Wright, im Begriffe, mein erstes kleines Flugzeug zu produzieren. Er richtete
sich auf. »Okay, mein Kind, zieh dich an und komm ins Sprechzimmer!« Dann
begann er mich auszufragen, als ob er mich noch nie gesehen hätte. Jedesmal,
wenn ich sagte: »Aber Pete, du weißt doch ganz genau, daß wir seit eineinhalb
Jahren verheiratet sind!« blickte er nicht einmal auf, sondern schrieb ruhig
weiter. Als sämtliche Atemzüge, die ich je in diesem Leben getan hatte,
säuberlich auf meiner Karteikarte verzeichnet standen, gähnte er. »Na,
Liebling, in etwa sechseinhalb Monaten kannst du dich auf die nächste Wiese
legen und dein Kind kriegen.«
    Und nun die Arzneien. Erwartungsvoll
beugte ich mich vor. Pete langte in die Schublade und begann herumzusuchen. Er
reichte mir eine Handvoll Muster. »Da hast du etwas Eisen und Kalzium — und — o
ja — ein Firmenvertreter hat mir ein neues Präparat gegeben — ich weiß nicht,
was es taugt, aber du kannst es ja versuchen und mir sagen, wie es wirkt und
wozu es gut ist. Vitamine irgendwie mit Eisen kombiniert. Wahrscheinlich taugt
es gar nichts, aber nimm ordentliche Dosen!«
    »Soll ich viel spazierengehen und eine
besondere Diät halten?«
    »Wenn du nicht wie ein Luftballon
aussehen willst, würde ich dir raten, spazierenzugehen.

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