Setz dich über alles weg
Verkäuferinnen, die droben in der Kantine ihre diversen Nummern probten.
»Proben! Proben! Ich lasse mich
aufhängen, wenn der alte Morris nicht auch sein Liebesleben zu proben pflegt!«
Ich erklärte entschieden: »Wenn ich
morgen an dem Picknick teilnehmen muß, kannst du heute zu der Probe gehen.«
Norman blinzelte mir zu, ›Kopf oder
Zahl!‹ Er warf die Münze hoch — und verlor. Hastig verließ ich den Senderaum,
um nicht über sein erbittertes, leises Geschimpfe lachen zu müssen.
Demzufolge durfte ich mich nun zwischen
den verschiedenen Telefonanrufen in einem schönen warmen Bad aalen, während
Norman auf der Probe war. Voller Großmut beschloß ich, wenigstens für einige
Minuten bei dem Picknick zu erscheinen.
Als Jim nach Hause kam, sagte er:
»Morgen macht der Italienische Klub seinen Jahresausflug. Ich habe Guido Di
Julio versprochen, wir würden hinkommen und zuschauen, wie er Baseball spielt.«
Als ich leise und erschüttert vor mich hinwimmerte, fügte er hinzu: »Das Essen
ist gut. Ich war schon einmal mit. Mamma Fia wird auch dasein.«
»Wo findet das Ereignis statt?« fragte
ich vorsichtig.
»In Maloney’s Grove. Sehr günstig!
Gleich neben Crescent Beach, wo euer Picknick vom Stapel geht!«
Gegen zwei kamen wir nach Crescent
Beach. Der Schönheitswettbewerb war im vollen Gange. Erhitzte und schwitzende
Ehemänner in Hemdsärmeln klatschten und zischten und mußten sich die bösen
Blicke ihrer empörten Gattinnen gefallen lassen. Gelangweilte Kinder strolchten
herum und bettelten weinerlich um einen Groschen. Gehetzte Wettkämpferinnen
hüpften über den Rasen, puterrot im Gesicht vor Verlegenheit, während
trompetende Schmeichler aus dem Direktionsbüro sie mit Zurufen antrieben. Die
Kellnerinnen des Warenhausbüfetts murrten ärgerlich, während sie grauen
Kartoffelsalat, kalte Würstchen und Brötchen auf lange kahle Tische häuften.
Das Warenhausorchester spielte in schlappem Tempo und war wütend auf den
Direktor, weil er sie zwang, am Sonntag zu arbeiten. Das Balg des
stellvertretenden Direktors in einem zu kurzen, knallblauen Satinröckchen,
flitterbestickter Jacke und glitzernd blauem Tschako (den die
Änderungsabteilung nur widerwillig herausgerückt hatte) steppte einen wilden
Veitstanz und verkündete kreischend durchs Mikrophon, daß es »keinem Mann
gehöre«.
Norman saß mit den Kontrolltechnikern
unter einem Baum. Er sagte: »Leiser schalten, bevor ich dieses plärrende
Miniaturungeheuer eigenhändig erdrossele!« — und nahm einen frischen Schluck
aus seiner Whiskyflasche. Die Techniker dämpften den Gesang des »Balgs« zu dem
Quieken eines aufgeregten Mäusleins herab, und Jim und ich machten uns davon.
Das alljährliche Familienpicknick des Warenhauses Morris hatte die kühnsten
Erwartungen übertroffen.
Obgleich die Szenerie der beiden
Festlichkeiten die gleiche war — vereinzelte Kiefern, zertrampeltes und mit
Abfall übersätes Gras, Picknicktische und Bänke auf einer langgestreckten
Rasenfläche, die zum Strand hinunterführte — , waren sie dem Charakter nach
grundverschieden.
Der Italienische Klub amüsierte sich
königlich. Von allen Seiten her sprudelte endloses Gelächter zum Himmel,
begleitet von plätscherndem Italienisch und leisem Amerikanisch. Guido kam
angelaufen, um Jim zu begrüßen.
»Herr Doktor, ich habe auf Sie
gewartet! Jetzt wird Ball gespielt — kommen Sie und schauen Sie zu!« Das
Kerlchen strahlte vor Freude, und seine großen schwarzen Augen funkelten vor
Aufregung. »Es gibt auch eine Tombola — ich habe einen Schinken gewonnen.« Zum
ersten Male sah ich Guidos intelligentes Gesichtchen ohne die Sorgenfalten, die
sonst sein Lächeln verscheuchten, wenn er den Redefluß der Mamma Fia
verdolmetschen mußte.
Sooft ich mit Jim eine Familie besuche,
in der die Eltern Einwanderer sind, mögen es Italiener, Russen, Deutsche,
Japaner oder Franzosen sein, faszinieren mich die zweisprachigen Kinder. Wenn
wir angefahren kommen, radeln sie auf der Straße herum, schreien durcheinander,
spielen mit einer alten Konservendose Fußball und rufen in untadeligem
Amerikanisch: »Ach, halt die Klappe!« — aber in dem Augenblick, da wir uns der
Eingangstür nähern, sagen sie: »Ich muß jetzt gehen, der Doktor ist da!« —
laufen voraus die Stufen hinauf und sind mit einem Male völlig verwandelt. Sie
lassen den Kopf hängen, sie seufzen unter der Last der Verantwortung und sehen
aus wie sorgenvolle alte Leute. Sie sind Dolmetscher — in keinem
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