Setz dich über alles weg
allmählich über meine
ursprüngliche Abneigung gegen ihre Person.
Edith fiel ein, daß ich vor meiner
Heirat als Reklameagentin tätig gewesen war. Am selben Nachmittag suchte sie
mich auf, um mir mitzuteilen, sie hätte mich zu ihrer Hauptwerbeleiterin
ernannt. »Du mußt natürlich hinfahren, um Material für deine Artikel zu
sammeln.«
»Ich kann nicht weg, Edith. Wo soll ich
die Kinder lassen?«
»Nimm sie mit!« Sie hakte meinen Namen auf
ihrer Liste ab. »Ich bin den ganzen August auf einem Diabeteskongreß in
Kalifornien, und unser Landhaus steht leer. Du wirst dich ausruhen. Du hast
wirklich nichts anderes zu tun, als dich auszuruhen, und du ahnst nicht, wie
gut es deinen Kindern bekommen wird. Vier Wochen Sonne, Salzluft und die
Gelegenheit, sich auszutoben — du wirst sie nicht mehr wiedererkennen.«
»Aber sie sind noch so klein, Edith.«
»Hast du keinen Begriff, wie die
statistischen Angaben über beginnende Rachitis aussehen? Avitaminose,
hauptsächlich durch den Mangel an Sonnenschein verursacht!« Sie merkte, wie
sich meine Nasenflügel blähten, weil sie so getan hatte, als käme nie ein
Sonnenstrahl in die Kellerlöcher, in denen meine Kinder hausten, und ging
hastig zu einer meisterhaften Schilderung des Strandes über. Lange weiße
Sandflächen, große Berge Treibholz, schöne Sonnenuntergänge und kein Telefon.
Meine Augen leuchteten auf. »Im Lager und im Dorf gibt es Telefon — falls etwas
passiert. Wie du weißt, ist es eine Plage, mit einem Arzt verheiratet zu sein,
und ich weigere mich, in unserem Landhaus Telefon zu haben. Es ist zwar
primitiv, aber es wird dir Spaß machen.«
»Ich muß Jim fragen — «
Edith lächelte. »Jim wird froh sein,
wenn er ungestört an seinem Artikel für die Northwest Medicine arbeiten kann.«
Sie klopfte mir auf die Schulter. »Getrennter Urlaub ist gut für Eheleute. Ed
und ich haben das schon vor Jahren entdeckt. Jim kann dich übers Wochenende
besuchen. Es gibt dort viel Lachs.« Damit ging sie.
Ich brachte die Kinder in den Garten.
Es war wirklich ein sehr kleiner Garten. Großpapa hatte ihnen aus Leinwand ein
kleines Planschbecken fabriziert. Ich setzte mich auf die Stufen und sah zu,
wie sie in dem von der Sonne erwärmten Wasser herumplanschten und sich balgten!
Arme Würmchen! Stell dir vor, was für Freude sie an den unermeßlichen
Salzwasserflächen haben würden! War es der Mangel an Sonnenschein, daß sie
blasser aussahen als andere Kinder, oder war es nur, weil sie blonde Haare
hatten? Heidi saß dick und fett im Bassin und japste nach Luft, da ihr Sally
Wasser über den Kopf goß. Ich kam ihr zu Hilfe und überlegte, warum sie mit
zehn Monaten noch immer keine Anstalten machte, zu laufen — weil sie zu dick
war — oder weil sie an beginnender Rachitis litt und zu schwache Beine hatte?
Großpapa kam um die Ecke, und ich fragte ihn, was er meine, ob es den Kindern
nicht große Freude machen würde, wenn sie den ganzen August am Meer verbringen
könnten.
»Das kommt ganz darauf an!« sagte
Großpapa. »Die meisten Kinder machen gern Tag für Tag dasselbe. Jede
Veränderung bringt sie aus dem Häuschen.«
Jim rief an und teilte mit, er würde
zum Essen nicht nach Hause kommen, er wolle irgendwo einen Bissen zu sich
nehmen und dann in der Praxis bleiben, um an seinem Artikel für die Northwest
Medicine zu arbeiten.
Als er nach Hause kam, ging er gleich
in die Küche, und ich folgte ihm, um zu erzählen, was Edith Stokes gesagt
hatte. »Komisch: daß sie dich bittet, die Werbung zu machen. Man sollte meinen,
sie würde dafür eine richtige Agentur engagieren.« Ich erwiderte in eisigem
Ton, daß Werbebüros nichts von Diabetes verstünden, und er scheine zu
vergessen, daß ich vor meiner Verheiratung in meinem Beruf nicht ganz untüchtig
gewesen sei. Er trank ein Glas Milch und sah mich nachdenklich an. »Findest du
nicht, daß die Kinder noch recht klein sind?« Ich sagte mit umflorter Stimme,
zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen zählten die Ausflüge, die mein Vater
mit uns unternommen hatte. Noch bevor wir watscheln konnten, nahmen unsere
Eltern uns auf den Erzschürftouren mit, und nur aus diesem Grunde seien wir
alle so gesund. Jim wies darauf hin, daß mein Vater mit dabeigewesen sei, und
obwohl er nichts lieber täte, als mit seiner Familie ans Meer zu gehen, würde
er sich im August nicht freimachen können. Ich erwiderte, Großpapa würde
mitkommen. »Was wirst du zum Beispiel mit der Wäsche machen?« Die
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