Setz dich über alles weg
Kinder,
nackt und halb verrückt vor Begeisterung, wälzten sich in den Pfützen und
liefen über die Sandbänke. Sie aßen mit gewaltigem Appetit, schliefen den
ganzen Nachmittag, und als sie aufwachten, wollten sie an den Strand, um
Großpapa und Jim im Boot sitzen zu sehen. Beim Abendessen stürzten sie sich mit
der Gier halbverhungerter Hündchen auf die Teller. Ich badete sie und brachte
sie zu Bett, und da lagen sie dann, die geröteten Wangen von feuchten Locken
umringelt, die Arme zurückgeworfen, die Finger gekrümmt, und schliefen den
seligen Schlaf der Erschöpfung. Jim und Großpapa erschienen gegen sieben Uhr
stolz mit sechs schimmernden Silberlachsen.
Gebratener Lachs vor dem Kaminfeuer —
keine Patienten, kein Telefon, es war wunderbar.
Am Sonntagnachmittag lief Mari auf dem
schweren Balkensteg, der zum Badehäuschen führte, so lange hin und her, bis sie
ausrutschte und sich einen fünf Zentimeter langen Splitter in den Fuß jagte. Es
war ein zackiger Splitter von altem Holz, und meine schüchternen Versuche, ihn
zu entfernen, führten nur dazu, daß er zerbröckelte und daß mir beinahe übel
wurde. Ich lief an den Strand hinunter und rief Jim und Großpapa. Dann öffnete
ich den Verbandskasten, stellte Wasser auf den Herd und dankte Gott, daß Jim so
vorsorglich gewesen war, Novokain, ein Skalpell, Nadeln und Catgut mitzunehmen.
Großpapa hielt Mari, während Jim den Splitter entfernte und den Fuß
bandagierte.
»Bist du sicher, daß sie ihre
Tetanusinjektion bekommen hat?« fragte Jim abermals. Ich erwiderte, Dick hätte
sie alle geimpft. Ich hätte zwar nicht gefragt, was es für Injektionen seien,
aber doch angenommen, es sei unter anderem auch Tetanusserum dabeigewesen. Jim
sagte, er würde mich Dienstag abend im Laden von Hainesville anrufen, um zu
hören, ob mit Maris Fuß alles in Ordnung sei. Er mache sich keine weiteren
Sorgen, aber es würde für ihn leichter sein, mich zu erreichen, als für mich,
ihn aufzustöbern.
Als Jim in die Stadt zurückfuhr, kam
ich mir plötzlich so verloren vor, als wäre er in den Krieg gezogen. Ich fragte
Großpapa, ob nicht auch er Jim für einen großartigen Menschen halte — wie denn,
wenn er nicht dagewesen wäre, als Mari sich den Splitter eintrat — und wie
denn, wenn er auf mich geachtet hätte, als ich ihn mit dem Verbandskasten
neckte!
Großpapa klopfte mir auf den Rücken,
sagte: »Gut ist ein guter Doktor, aber schlecht ist manchmal ein besserer!« und
überließ es mir, über diesen Orakelspruch nachzudenken, während er Holz sägen
ging.
Großpapa hatte in der Ferienfrage einen
neutralen Standpunkt eingenommen und nur ganz bescheiden darauf hingewiesen,
daß er nicht mehr so sicher auf den Beinen sei, und über unebenes Gelände würde
ich die Kinder tragen müssen. Jetzt würde man nicht nur Sally und Heidi,
sondern auch Mari herumschleppen müssen. Jim hatte gesagt, das Salzwasser würde
ihr nicht schaden, aber wir sollten dafür sorgen, daß sie mit dem Fuß nirgends
anstoße.
Am Dienstagabend wusch ich schnell ab,
um die Kinder ins Bett zu kriegen, damit ich Zeit hätte, ins Dorf zu gehen und
Jims Anruf abzuwarten. Mari kam mit einer Schachtel in die Küche gelaufen,
sagte, Sally hätte etwas von dem Inhalt gegessen, und es sei scheußlich. Ich
warf einen Blick auf das Etikett. ›Rattengift! Von Haustieren und Kindern
fernhalten‹. Dann der Totenkopf. Dann: ›Brechmittel: Keine Öle. Senf und
Kupfersulfat — alle fünf Minuten drei Gran, bis das Erbrechen einsetzt. Chemisches
Brechmittel: Kupfersulfat und übermangansaures Kali.‹ Der restliche Teil des
Etiketts war abgerissen.
Sally spuckte, wischte sich den Mund ab
und wimmerte. Ich wusch ihr den Mund mit kaltem Wasser aus — Seife wagte ich
wegen des Fettgehaltes nicht zu benützen — , legte sie aufs Bett, rief
Großpapa, bat ihn, auf die Kinder aufzupassen und stürzte ins Dorf — die
Schachtel in der Hand.
Ich kam gerade in den
Gemischtwarenladen, als Jim anrief, erzählte ihm, Sally hätte Rattengift
geschluckt, und wo um Gottes willen könnte ich Kupfersulfat beschaffen! Er bat
mich, ihm das ganze Etikett vorzulesen — langsam und deutlich. Mit jedem Satz
wurde mir immer übler zumute.
Jim sagte: »Hör zu, Mary! Ich
bezweifle, daß sie etwas geschluckt hat. Wahrscheinlich hat es sie im Mund
gebrannt, und sie hat es ausgespuckt. Aber für alle Fälle — besorge dir
Senfpulver im Laden, löse es in warmem Wasser auf, gib es ihr, bis sie
erbricht, und dann leg sie
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