Seuchenschiff
war es nicht so schlimm.«
»Sie sind sehr bescheiden, Mr. Seng. Ich habe selbst aktiv gekämpft, daher kann ich nachfühlen, was Sie durchgemacht haben.«
Vietnam, dachte Max und schätzte, dass Jenner etwa so alt war wie er selbst. Damit war dieses Rätsel gelöst, und er fühlte sich gleich besser. »Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte er.
»Normalerweise würden wir erst einmal Kyles Freunde und seine Familie zusammenrufen, um ihm klarzumachen, dass er jede Unterstützung bekommt, um sich von den Responsivisten zu lösen. In diesem besonderen Fall hingegen muss ich während der ersten Sitzungen mit Kyle allein sein. Er wird einen ziemlich schweren Schock bekommen, wenn er aufwacht und begreift, was mit ihm geschehen ist.« Jenner lächelte traurig. »Und nach meiner Erfahrung verwandelt sich dieser Schock schnell in Wut.«
»Kyle ist nicht gewalttätig, falls Sie sich deswegen Sorgen machen«, versicherte ihm Max. »Im Gegensatz zu seinem alten Herrn neigt der Junge nicht zu Jähzorn.«
»Gewöhnlich verabreiche ich meinen Patienten etwas, um sie ruhig zu halten, bis sich der Schock verflüchtigt.« Er deutete mit einer Hand auf einen Beistelltisch, auf dem neben einer Vase mit frischen Blumen seine altmodische Arzttasche stand.
»Wie vielen Menschen haben Sie schon geholfen, Doktor?«
»Nennen Sie mich doch Adam. Nun ja, über zweihundert sind es inzwischen.«
»Allen erfolgreich?«
»Ich wünschte, ich könnte das bejahen, aber das ist nicht der Fall. Eine Handvoll begingen Selbstmord, und noch mehr kehrten in den Schoß der Sekte zurück. Es ist wirklich traurig. Die Leute werden von dem angelockt, was sie als gute Werke der Responsivisten betrachten, aber erst nachdem sie für eine Weile bei ihnen waren, gewinnt die Gruppe mehr und mehr Kontrolle über sie, vor allem indem sie dafür sorgen, dass die neuen Mitglieder den Kontakt mit ihren nächsten Angehörigen verlieren. Sobald das geschehen ist, wird es zunehmend schwieriger, sie zu bewegen, wieder in ihr normales Leben zurückzukehren.«
»Aber warum lassen Menschen so etwas zu?«, fragte Eddie. Doch er kannte die Antwort bereits. Es war das Gleiche, das er selbst in Chinatown erlebt hatte, als er noch ein Kind war. Der Druck, einer Bande beizutreten, war enorm, und sobald man dazugehörte, ließen sie einen nicht mehr gehen.
»Einsamkeit, das Gefühl, nicht in diese Welt zu gehören. Die Responsivisten geben ihnen das Gefühl, Teil von etwas zu sein, das größer ist als sie selbst, von etwas Wichtigem, das ihrem Leben einen Sinn gibt. Es sind im Großen und Ganzen die gleichen Symptome, die andere zu Drogen oder Alkohol greifen lassen, und der Entzug läuft ebenfalls nach ähnlichem Muster ab. Also hat man Erfolge wie auch Misserfolge zu verzeichnen.«
»Seiner Mutter zufolge war Kyle nur ein paar Monate lang bei den Responsivisten, daher denke ich, dass er die Rückkehr schaffen müsste.«
»Die Zeitdauer ist eigentlich unbedeutend«, widersprach Jenner. »Es kommt darauf an, wie bereitwillig er ihnen gestattet hat, seinen Geist zu vergiften. Ich hatte mal einen Fall, da hatte eine Frau nur zwei Wochen lang an Treffen der Responsivisten teilgenommen, als ihr Mann sich Sorgen zu machen begann und mich engagierte. Am Ende hat sie ihn verlassen und arbeitet jetzt als Sekretärin des Leiters ihres Zentrums in Griechenland, dort, wo Sie gerade Ihren Sohn herausgeholt haben. Pattie Ogdenburg. Seltsam, dass man sich immer viel deutlicher an die Namen seiner Misserfolge erinnert als an die seiner Erfolge.«
Max und Eddie nickten gleichzeitig. Sie hatten beides oft genug erlebt.
»Eins möchte ich nur zu gerne wissen«, sagte Eddie in das entstehende Schweigen hinein, »wie kommt es, dass jemand, der so erfolgreich ist wie Donna Sky, in eine solche Geschichte hineingerät?«
»Es ist im Prinzip genauso wie bei jedem anderen. Dass sie Preise errungen hat und von Verehrern umgeben ist, heißt noch lange nicht, dass sie sich weniger einsam fühlen kann als sogenannte Durchschnittsmenschen. Häufig verlieren gerade Prominente viel eher den Bezug zur Realität und sind daher leichter beeinflussbar. Draußen in der realen Welt wird sie von Fans bedrängt, aber innerhalb der Organisation ist sie nur noch Donna Sky. Allerdings trägt ihr Bekanntheitsgrad dazu bei, neue Mitglieder zu werben.«
»Ich glaube, ich werde das alles niemals verstehen«, bemerkte Max düster.
»Deshalb haben Sie mich ja auch engagiert«, sagte Jenner betont aufgeräumt,
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