Seuchenschiff
hatte. Er konnte nur hoffen, dass sie ihm angesichts der Begleitumstände verzieh. Dieser Teil von Donna Skys neuem Film wurde in einem alten Lagerhaus aufgenommen, das nach der Wiedervereinigung Deutschlands dem Verfall preisgegeben worden war. Das Gebäude erinnerte Kevin ein wenig an die
Oregon,
nur war hier der Rost echt. Ein halbes Dutzend Sattelschlepper, Catering-Trucks, Gerüste, Kamerawagen und ein Schmalspurgleis für Kamerafahrten verteilten sich auf dem großen Parkplatz. Männer und Frauen wimmelten im Szenenaufbau durcheinander und bewegten sich dabei im Laufschritt, denn im Filmgeschäft ist
Zeit
im wahrsten Sinne des Wortes
Geld.
Nach dem zu urteilen, was Nixon sehen konnte, gaben die Filmproduzenten etwa hundertfünfzigtausend Dollar pro Tag aus.
Für ihn war das organisierte Chaos einer aufwändigen Filmproduktion zwar ein vertrauter Anblick, aber in diesem Moment gleichzeitig vollkommen fremd.
Ein Wachmann in Uniform, aber ohne Waffe an der Seite, wollte gerade auf ihn zugehen, als eine Stimme über den Platz rief: »Ich kann nicht glauben, dass du es bist!«
Gwen Russell überholte den Wachmann und umarmte Nixon. Dabei vergrub sie ihr Gesicht in seinem dichten Bart, nachdem sie ihn auf beide Wangen geküsst hatte. Stets ein Energiebündel, ging sie schnell wieder auf Distanz und betrachtete ihn eingehend.
»Du siehst fantastisch aus«, sagte sie schließlich.
»Ich hatte am Ende eingesehen, dass mir keine Diät der Welt helfen würde, daher habe ich mir vor zwei Jahren einen Magen-Bypass einsetzen lassen.« Nach einem lebenslangen Kampf mit seinem Gewicht war es ein aus Verzweiflung geborener Plan gewesen, der sich aber ausgezahlt hatte. Vor der Operation hatte Kevin seit dem College niemals weniger als zweihundertzwanzig Pfund gewogen. Nun brachte er nur noch respektable hundertfünfundachtzig Pfund auf die Waage, die über eine nach wie vor imposante Erscheinung verteilt waren.
Die Köche an Bord der
Oregon
servierten ihm stets spezielle Mahlzeiten, wie es seine Diät nach der Operation verlangte, und obwohl er nicht viel von körperlicher Ertüchtigung hielt, absolvierte er sein tägliches Training mit geradezu religiösem Eifer.
»Es hat sensationell gewirkt, Buddy-Boy.«
Sie drehte ihn um und hakte sich bei ihm ein. Er brachte sie zu einer Reihe von Wohnanhängern zurück, die auf einer Seite des Platzes geparkt waren.
Gwens Haar war leuchtend violett, und sie trug eine helle, bunte Radfahrerhose und ein Herrenhemd mit Buttondown-Kragen. Mindestens fünfzehn goldene Halsketten hingen um ihren Hals, und jede ihrer zierlichen Ohrmuscheln wies ein halbes Dutzend Piercings auf. Damals war sie Nixons Assistentin gewesen, als er für einen Oscar nominiert worden war. Und nun war sie selbst eine gesuchte Make-up-Künstlerin.
»Du bist vor einigen Jahren völlig in der Versenkung verschwunden. Niemand wusste, wo du warst oder was du machtest«, sprudelte sie hervor. »Die Karten auf den Tisch und erzähl mir alles, was du im Augenblick treibst.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen, ehrlich.«
Sie schnaubte verächtlich. »Also wirklich … Du verschwindest für acht Jahre von der Bildfläche und erklärst dann, es gebe nichts zu erzählen? Du hast doch nicht etwa zu Gott gefunden, oder? Moment mal, du sagtest, du willst mit Donna reden. Bist du etwa ihrer Gruppe beigetreten? Diesen Reaktionären?«
»Responsivisten«, korrigierte Kevin.
»Wie auch immer«, schoss Gwen mit ihrem besten Valley-Girl-Akzent zurück. »Gehörst du auch zu diesem Verein?«
»Nein, aber ich muss mit ihr darüber reden.«
Sie kamen zum Schmink-Wagen. Gwen öffnete die Tür und schwebte die ausklappbare Treppe hinauf. Der wächserne Geruch von Kosmetika und Dufttöpfen war betäubend. Sechs Stühle standen unter einem langen Spiegel und vor einer Ablage, beladen mit Flaschen und Tiegeln jeder Größe und Form sowie Augenbrauenstiften und genug Schminkpinseln, um ein ganzes Footballstadion zu fegen. Gwen holte zwei Flaschen Mineralwasser aus einem kleinen Kühlschrank, reichte Kevin eine davon und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Das grelle Licht ließ ihr Haar wie Zuckerwatte leuchten.
»Also, nun komm schon, es war kurz nach Vergabe der Oscars – den einen hättest du übrigens kriegen müssen – und peng, weg bist du. Was war also los?«
»Ich musste weg von Hollywood. Ich konnte es nicht mehr ertragen.« Selbstverständlich würde Kevin ihr nicht erzählen, was er getrieben hatte, seit er dem
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