Seuchenschiff
Filmgeschäft den Rücken gekehrt hatte. Aber sie war doch eine gute Freundin gewesen und verdiente es, die Wahrheit zu erfahren.
»Du weißt ja, wie ich damals war«, begann er. »Ich war ein Linker wie alle anderen auch. Ich wählte immer die Demokraten, hasste alles, was mit den Republikanern zu tun hatte, spendete für Umweltaktivisten und fuhr ein Hybridauto. Ich gehörte in jeder Hinsicht zum Hollywood-Establishment.«
»Erzähl mir bloß nicht, dass du dich mit den Konservativen angefreundet hast«, sagte Gwen mit einem Ausdruck gespielten Entsetzens. Sie hatte nie das geringste Interesse an Politik bekundet.
»Nein. So ist es nicht«, sagte er. »Ich versuche nur, die Ereignisse in einen Zusammenhang zu bringen. Mit 9/11 hat sich alles verändert.« Allein die Erwähnung des Datums ließ Gwen erbleichen, als wüsste sie genau, in welche Richtung sich die Geschichte nun bewegte. »Meine Schwester kam aus Boston, um mich zu besuchen.«
»Du brauchst es mir nicht zu erzählen.«
»Es war ihre Maschine, die in den Nordturm des World Trade Centers raste.«
Sie fasste über den Tisch, um seine Hand zu ergreifen. »Oh, das tut mir furchtbar leid. Ich hatte keine Ahnung.«
»Ich konnte mich nicht überwinden, es überhaupt jemandem zu erzählen.«
»Also deshalb bist du abgehauen. Weil deine Schwester starb.«
»Nicht direkt«, sagte Kevin. »Nun ja, vielleicht doch. Ich weiß es nicht. Drei Wochen nach dem Gedenkgottesdienst nahm ich meine Arbeit wieder auf und versuchte, auch mein Leben wieder in normale Bahnen zu lenken, weißt du? Ich machte gerade die Maske für dieses historische Drama. Ich werde dir nicht verraten, wer der Star war, denn sie ist heute noch größer, als sie es damals war. Sie saß im Sessel und erzählte ihrem Agenten von dem Angriff. Sie sagte in etwa: ›Weißt du, ich denke, was den Leuten passiert ist, war schrecklich. Aber dieses Land hat es verdient. Ich meine, sieh dir bloß mal an, wie wir den Rest der Welt behandeln. Kein Wunder, dass sie uns hassen.‹«
»Das war kein ungewöhnlicher Gedanke«, fügte Nixon hinzu, »damals nicht und auch heute nicht. Aber dann sagte sie, dass die Leute, die gestorben sind – meine Schwester also auch –, an dem Attentat genauso schuld waren wie die Hijacker.
Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Meine kleine Schwester war sechsundzwanzig Jahre alt und wollte gerade als Assistenzärztin anfangen, und diese überbezahlte Tussi meint, dass die Angriffe die Schuld meiner Schwester gewesen wären. Es war diese völlige Losgelöstheit, Gwen. Die Leute in Hollywood sind so weit weg von der Realität, dass ich es einfach nicht ertragen konnte. Diese Schauspielerin verdiente Millionen, indem sie nur mit Unterwäsche bekleidet auf der Leinwand herumstolzierte und Muslime in ihren Empfindungen aufs Tiefste verletzte, und schiebt die Schuld an dem Hass dieser Leute meiner Schwester zu.
Ich hörte mir noch ein oder zwei Monate lang an, was andere Leute im Business sagten, und wusste, dass alle fast genauso dachten. Dass Amerika in gewisser Weise selbst schuld war, konnte ich schon nachvollziehen, und das war auch okay. Was ich aber nicht ertragen konnte, war, dass niemand dort glaubte, dass er ebenfalls zu diesem Amerika gehörte.«
Kevin erzählte jedoch nicht, dass er danach direkt zur CIA marschiert war, um dort seine einzigartigen Fähigkeiten anzubieten, oder dass ihm ein weitaus spannenderer und lukrativerer Job bei der Corporation in Aussicht gestellt wurde. Höchstwahrscheinlich hatte Langston Overholt seinen Namen damals schon an Juan weitergegeben, ehe die CIA überhaupt etwas von seinem Interesse erfuhr.
Sich der kampfbetonten paramilitärischen Ordnung von Cabrillos Piratenbande unterzuordnen, war bemerkenswert einfach gewesen, und zum ersten Mal hatte Nixon verstanden, was am Militär so reizvoll war. Es war nicht die Action und das Abenteuer, denn die meisten Tage waren mit langweiliger Routine angefüllt. Es war die Kameradschaft, dieses Gefühl der Loyalität, das die Männer und Frauen füreinander empfanden. Sie gaben einander die volle Verantwortung dafür, die anderen vor jedem Schaden zu bewahren, was zwischen ihnen Bindungen entstehen ließ, die tiefer reichten, als Kevin jemals für möglich gehalten hätte.
Aber seine Zeit auf der
Oregon
hatte ihn eigentlich nicht sehr verändert. Er spendete noch immer Geld für liberale Anliegen, wählte demokratisch, wenn er daran dachte, sich die Unterlagen für eine Briefwahl
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