Sex and Crime auf Königsthronen
für einen König ist das keine Option. Ihm bleibt – wie Heinrich VI. – höchstens die Mönchspose.
Der König von der traurigen Gestalt hasst es zu kämpfen, er trägt selten Waffen, reitet nicht einmal gern. Im heutigen Psychojargon würde man vielleicht sagen, er leidet von Kindesbeinen an an einer reaktiven Anpassungs-»Störung«. Hand aufs Herz: Hätten Sie die nicht, wenn Ihre gesamte Verwandtschaft und Ihr ganze Umgebung damit beschäftigt wäre, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, um Ihnen Ihren Besitz unterm Hintern wegzustehlen?
Heinrich VI. ist außerdem erblich vorbelastet; sein Großvater mütterlicherseits, der Franzosenkönig Karl VI., starb in geistiger Umnachtung. Dieser Monarch aus dem Hause Valois hielt sich für einen Menschen aus Glas, er hörte Stimmen und vergaß, dass er ein mächtiges Land regierte. Wahrscheinlich war er schizophren; dafür sprechen die Verfolgungsfantasien und seine Wahnvorstellung, er könne sich nur in einem Ganzkörperanzug aus Metall vor den Angriffen von Dämonen und unsichtbaren Strahlen schützen. Nein, eine Rüstung meinte der König damit nicht.
Seine Pariser Leibärzte hielten Karl VI. für besessen. Weshalb man ihm mehrmals den Schädel aufbohrte – natürlich ohne Narkose –, damit die Teufel entweichen könnten. Sie blieben aber lieber im Kopf des Königs und beherrschten ihn von dort aus.
Ein gefährlicher Geisteszustand, der dazu führte, dass Frankreichs Aristokraten sich um seine Krone zankten und dass die Engländer die günstige Gelegenheit nutzten, um in deren Land einzufallen und es weitgehend zu erobern.
Somit ist es kein Wunder, dass die mittelalterlichen Zeitgenossen auch wenig Verständnis aufbringen für den Gemütszustand seines englischen Enkels Heinrich. In ihren Augen ist das Staatsoberhaupt einfach eine feige Memme und plemplem.
Vornehmer drücken es Historiker aus: Heinrich Lancaster ist führungsschwach, geistig labil und bewegt sich gelegentlich am Rand zum Wahnsinn. Nun gut, so kann man es auch sehen. Mir jedenfalls sind manche Spleens dieses königlichen Narren sympathisch.
Der sechste Heinrich vermeidet es, mit Krone herumzulaufen, als schäme er sich dafür. Wenn er bei Hof oder bei einer Audienz die Staatsrobe anlegen muss, trägt er darunter ein härenes Büßerhemd. Er frönt gern exzessiven Fastenübungen, verbietet es, in seiner Gegenwart nackte Haut zu zeigen. Hat er Spaß an Minnesang oder an Mätressen? Fehlanzeige. Er meidet Frauen wie die Sünde, als die alle Töchter Evas im Mittelalter – und nicht nur damals – nun einmal gelten.
Okay, das finde ich nicht so sympathisch. Für König Heinrich VI. ist sein Widerwillen gegen das weibliche Geschlecht und gegen Erotik höchst selbstgefährdend. Und ein Kriegsauslöser!
Seine 1445 geschlossene Ehe mit der bildschönen, sechzehn Jahre alten französischen Prinzessin Margaret von Anjou bleibt acht Jahre lang kinderlos. Richard, Herzog von York, macht sich darum berechtigte Hoffnungen auf die Thronfolge. Sein Anspruch ist so gut wie der von Lancaster und Co. Die Krone ist Herrn York sicher, wenn Heinrich fromm und seine Lenden fruchtlos bleiben. Denn natürlich sind die beiden Blaublüter auch miteinander verwandt, und zwar mehrfach. Ich erspare Ihnen die Details, weil das Studium der Ahnentafeln York-Lancaster für einen Brummschädel sorgt.
Richard von Yorks Hoffnungen auf die Krone bekommen zusätzlich Nahrung, weil der Lancasterkönig rekordverdächtig erfolglos regiert. Dank komplett mangelhafter Kriegsführung gehen unter Heinrich Lancaster stückchenweise all die französischen Besitzungen verloren, um die seit dem Mittelalter zwischen Britannien und Gallien ein weiterer berühmter Krieg getobt hat – der Hundertjährige.
Die hundert Jahre darf man dabei nicht zu wörtlich nehmen; es gab jahrelange Unterbrechungen und Friedensperioden, manchmal geriet die Auseinandersetzung ganz in Vergessenheit. Gekämpft wurde außerdem nur stellen- und saisonweise. Im Winter blieben die Waffen kalt und die Krieger zu beiden Seiten des Kanals zu Hause. Zum Ende dieses generationsübergreifenden Kampfprojektes schienen die Engländer – dank Heinrichs Vater und dem verrückten Franzosenkönig Karl VI. – die überragenden Sieger zu sein. Jetzt sind sie – dank dem Sohn und dessen Regenten – die völligen Verlierer.
Nicht nur die Yorkisten fragen sich darum, was von einem König Heinrich VI. zu halten ist, der die Gewinne seines Vaters und seiner Vorgänger so
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