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Sex and Crime auf Königsthronen

Titel: Sex and Crime auf Königsthronen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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York, der Königstellvertreter in der Warteschleife, mutmaßt, dass der Überraschungsprinz ein außerehelich empfangenes Kuckuckskind der Königin ist. Damit macht er sich die stolze, schöne und gewitzte Mama, Margarete von Anjou, verständlicherweise zur Todfeindin. Sie fordert selbst die Regentschaft für ihren geistig umnachteten Mann und im Namen des Babyprinzen. Noch eine ehrgeizige Mutter also.
    Man schmettert ihre Karrierebestrebungen mit klassischen Argumenten ab: nur eine Frau, noch dazu Ausländerin und – ganz schlimm in England – eine Französin. 1454 setzt das Parlament darum Richard von York als Stellvertreter für Heinrich VI. ein.
    Die clevere Margarete von Anjou schluckt die bittere Pille und verlegt sich auf eine klassische Königinnendisziplin. Sie widmet sich der Krankenpflege ihres Gatten. Drei Ärzte setzt sie auf ihren infantil gewordenen Gatten an, die den zur Statue erstarrten Heinrich unablässig anschreien, an den Haaren ziehen, ihn mit Federn in der Nase kitzeln, seine Zehen quetschen und ihn am Schlafen hindern. Außerdem bekämpfen sie seine melancholia mit Klistieren, pumpen täglich mehrere Liter Abführmittel aus Wermut, Brechwurz, Minze, Bingelkraut, Oregano und Olivenöl in den After des Monarchen. Die übliche Praxis damals, und sie hat Erfolg. »Ein guter Kopf weiß alles zu benutzen, ich will Krankheiten zum Vorteil kehren«, fasst Shakespeare den Coup d’État der Königin und ihrer Ärzte zusammen.
    Übrigens hat man den Schlafentzug als Heilmittel gegen Schwermut jüngst als gutes Therapeutikum wiederentdeckt. Nein, man zieht einen Depressiven nicht mehr an den Haaren, aber eine durchwachte Nacht bringt die Botenstoffe des Hirns wieder auf Trab, sorgt für die Ausschüttung von Glückshormonen. Und was die Kräuterklistiere angeht, so besitzen einige der verwendeten Pflanzen antidepressiv wirkende Alkaloide. Ganz so dumm, wie die mittelalterlichen Mediziner uns heute oft vorkommen, waren sie nicht.
    Einige Gipfel der medizinischen Dummheit werden in royalen Kreisen erst in den Jahren von Spätrenaissance, Barock und Aufklärung erklommen. Damals nämlich experimentiert man im Namen der neu erwachten Vernunft und dank eines grassierenden wissenschaftlichen Entdeckerfiebers mit Medikamenten wie den Schädelpartikeln eines Ermordeten gelöst in Alkohol, um etwa die Delirien des sterbenden Barockkönigs Charles II. (1630–1685) von England per Schocktherapie zu kurieren. Nebenher verabreicht man diesem König Pülverchen aus den Exkrementen exotischer indischer Ziegen. Solche Therapeutika kann man sich nur bei Hof leisten und tut es im prunksüchtigen Barockzeitalter gern. Woran wir sehen, dass medizinischer Fortschritt immer relativ ist.
    Und damit zurück zu unserem spätmittelalterlichen Patienten.
    Weihnachten 1454 ist Heinrich VI. erst mal wieder fit und klar im Kopf. Zumindest vorübergehend. Richard von York wird sich über dieses Weihnachtswunder nicht gefreut haben. Er zieht sich schmollend auf einen Landsitz außerhalb von London zurück und greint trotzig: Ich bin aber immer noch Regent.
    Königin Margarete und alle Freunde der Lancaster-Monarchie, darunter seine Tudor-Halbbrüder Edmund und Jasper, trauen den Yorks und dem Frieden nicht. Sie können den kampfscheuen Heinrich VI. zu einem militärischen Angriff auf die Yorks überreden.
    Am 1. Mai 1455 trifft man sich zum ersten bewaffneten Meinungsaustausch bei St. Albans, 35 Kilometer südlich von London. Meine Damen und Herren, die Rosenkriege sind damit offiziell eröffnet.
    Der kriegsunerfahrene Heinrich VI. unterliegt im ersten Wettstreit den handfesten Argumenten des Herzogs von York und wird verwundet. Richard schleppt den angeschlagenen Heinrich zurück nach London und lässt sich von ihm als Regent bestätigen. Der arme Heinrich – was bleibt ihm anderes übrig – stimmt zu.
    Seine Königin macht derweil mit ihrem Prinzen rüber nach Schottland, um neue Truppen zu rekrutieren. In der Folge wird Margarete von Anjou eine Art Partisanen-Queen, der Shakespeare in seinem Königsdrama »Heinrich VI.« makabre Späße andichtet.
    So soll sie gefallene Yorkisten geköpft, die bluttriefenden Häupter über die Stadtmauer gehängt und mit bunten Papierkronen geschmückt haben. Bitte nicht merken, das stimmt nicht, aber Greueltaten sind ab sofort an der Tagesordnung – auf beiden Seiten.
    Weil Margaretes Mann, Heinrich VI., Beruf König, 1456 nach wie vor klar im Kopf ist, setzt das Parlament Richard von York

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