Sex and the Office
machte ein Gesicht wie ein Kind, dem man seinen Eisbecher weggenommen hatte. »Das mit Ihrer Freundin tut mir leid. Aber was passiert ist, ist passiert, und an ihrem Zustand wird sich wohl kaum etwas ändern, wenn Sie erst morgen zurückfahren.«
Ich machte den Koffer zu und blickte Leon Wenzel scharf an. »Dann ist es für Valerie vielleicht schon zu spät. Das würde ich mir nie verzeihen.«
Mit dem Koffer in der Hand drehte ich mich noch einmal um und schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Dann verließ ich das Hotel und machte mich auf den Weg nach Berlin.
27
Zurück in Berlin
»Ich möchte bitte zu einer gewissen Valerie Baumann«, sagte ich, als ich am späten Vormittag des darauffolgenden Tages völlig übernächtigt am Empfang der Charité eintraf. Ich hatte während der Busreise kein Auge zugetan, und der Pförtner am Empfang warf mir einen strengen Blick über den Rand seiner Brille hinweg zu. »Und Sie sind …?«
»… Charlotte Paul, ich bin ihre beste Freundin.«
Er musterte mich eine Sekunde lang, ehe er den Blick auf die Liste mit den Neuzugängen senkte. »Bachmann, Bader, Bauer … Baumann, hier haben wir sie ja. Ihre Freundin liegt auf der Unfallchirurgie im zweiten Stock, Zimmer achtzehn.«
»Danke«, rief ich ihm zu und eilte zu den Aufzügen.
»Moment mal, hier steht, dass sie …«, hörte ich den Pförtner noch sagen; doch zu spät, die Türen des Aufzugs hatten sich bereits hinter mir geschlossen. Mit Schrecken betrachtete ich mein Spiegelbild. Mein Lippenstift und meine Mascara waren verschmiert. Doch das war augenblicklich meine geringste Sorge, und ich betete dafür, dass Valerie es nicht allzu schlimm erwischt hatte. Der Aufzug stoppte, und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch ging ich auf das Zimmer Nummer achtzehn zu. Ich fühlte mich ziemlich mies angesichts der Tatsache, dass Valerie und ich bei unserem letzten Videochat im Streit auseinandergegangen waren, und ein wenig schämte ich mich jetzt dafür, so ruppig gewesen zu sein. Als ich die Zimmertür öffnete, war Valeries Bett bereits leer. Meine Hand fuhr zum Mund. Ich war zu spät. »Gott, nein!« Die Tränen stiegen mir in die Augen, während ich nur dastand, den Blick fassungslos auf das Laken gerichtet. Meine beste Freundin war verstorben, während ich beinahe Sex mit meinem beinahe Chef gehabt hatte. Jetzt hatte ich mich nicht einmal von ihr verabschieden können. Die Tränen rannen mir über die Wangen, als sich die Tür zum Schwesternzimmer öffnete und eine Asiatin mit militärisch kurz geschnittenem Haar im weißen Kittel und einem Klemmbrett unter dem Arm heraustrat. »Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
Schluchzend schüttelte ich den Kopf. »Ich wollte zu Frau Baumann …«
»Zu Valerie Baumann?«
Ich nickte betrübt. Die Schwester warf einen Blick auf ihr Klemmbrett. »Ist verlegt worden. Station drei, Zimmer neun.«
Verlegt? Meine Mundwinkel sprangen in die Höhe, und mir war, als ob eine zentnerschwere Last von mir abfiel.
»Ich danke Ihnen!«, rief ich ihr im Weiterlaufen so überschwänglich zu, als wäre es ganz allein ihr Verdienst, dass Valerie noch am Leben war.
Überglücklich sie zu sehen, wäre ich Valerie am liebsten um den Hals gefallen, was ich angesichts ihres Kopfverbands, der bandagierten Schulter und des Gipsbeins aber doch lieber sein ließ.
»Gut siehst du aus«, sagte ich beim Betreten des Krankenzimmers.
Valerie lächelte. »Charly-Schätzchen, du warst noch nie eine gute Lügnerin.«
Ich musste grinsen. »Na schön, du siehst schrecklich aus.«
»Du hast aber auch schon mal besser ausgesehen«, fand Valerie und musterte mein Outfit. »Habe ich irgendwas verpasst?«
»Ach, nur ein Maskenball«, sagte ich und nahm auf dem Stuhl vor ihrem Bett Platz. »Ist ’ne längere Geschichte.«
»Schon okay, ich habe heute noch nichts vor.«
Wenigstens hatte Valerie ihren Humor nicht verloren. Dennoch wollte ich sie nicht so leicht davonkommen lassen. Ich sah ihr in die Augen und fragte: »Was um alles in der Welt ist in dich gefahren, mit achtzig Stundenkilometern und fast zwei Promille im Blut über eine rote Ampel zu rasen?«
Schuldbewusst senkte sie die rot geschwollenen Lider. »Tja, ich schätze, ich war wohl ziemlich durch den Wind.«
Ich stützte mich auf meinen Knien ab und beugte mich vor, wie um ihren Blick einzufangen. »Wer dachtest du, bist du – Lindsay Lohan?«
Valerie erwiderte nichts, und für einen Augenblick herrschte ein angespanntes Schweigen zwischen uns. Mir war klar,
Weitere Kostenlose Bücher