Sex - die 10 Todsünden
die Lust auf meinen Freund. Zwar schlafen wir immer noch jedes Mal miteinander, wenn wir uns sehen. Er sieht nach wie vor attraktiv aus und riecht sexy. Aber ich habe einfach keine richtige Lust mehr. Ich ertappe mich immer häufiger bei dem Gedanken, dass es ja bald vorbei sein wird. Früher war es ganz anders, da konnte ich nicht genug von ihm kriegen.
Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich durch mein dauerndes Nachspionieren mein eigenes Lebensgefühl verliere und nur noch dafür lebe, herauszufinden, was er nun wohl gerade macht. Deswegen lasse ich das nun sein. Ich wünsche mir trotzdem so sehr, er würde einfach mal alles erzählen, die ganze Wahrheit und warum er das alles macht.
Oswalt Kolle ganz persönlich
»Dieser Mann wird mit seinen Lügen niemals aufhören«
Hier geht es im Wesentlichen um zwei Fragen. Nämlich: Wie viel Wahrheit verträgt der belogene Partner? Und: Wie viel Mut zum Risiko hat der lügende Partner? Sibylle möchte ihren Freund am liebsten für sich alleine haben. Ihr Wunsch ist natürlich legitim, doch die Realität sieht anders aus. Sie muss viele Facetten ihres Mannes mit einer anderen Frau teilen. Wie viel Eheleben noch stattfindet, wird Bernd ihr nicht so genau auf die Nase binden, das wäre untypisch für einen Mann. Ich vermute außerdem, er hat Angst, sie zu verletzen, wenn er ihr die ganze Wahrheit schonungslos offenbaren würde. Sicher hat er aber auch Angst, sein gewohntes Leben zu verlieren, wenn seine Geliebte plötzlich alles wüsste. Denn das ist dann vielleicht zu viel für sie, und es besteht die Gefahr, dass sie ihn verlässt. Das Gleiche würde vermutlich passieren, wenn seine Frau von der Geliebten erführe. Beides scheint Bernd nicht recht zu sein, und deshalb spielt er das doppelte Spiel.
Meine Prognose lautet: Dieser Mann wird mit seinen Lügen nie aufhören. »Ab 40 erstarrt die Seele in zu erwartenden Abläufen«, heißt es in der Psychotherapie. Bernd ist 48. Aus ihm wird nicht mehr völlig überraschend ein anderer Mensch werden, der mit einem Mal mutig und konsequent ist. Er wird so bleiben, wie er ist: »Lieber bekanntes Unglück als unbekanntes Glück« – auch ein gängiges Motto von Männern ab 40. Trotzdem aber ist er ein liebevoller Partner für seine Geliebte. Sibylle wird also nichts anderes übrig bleiben, als eine Bilanzierung vorzunehmen. Sehnt sie sich danach, dass die Beziehung mit ihrem Bernd weitergeht, trotz Lügen, Kränkung und Abwesenheit? Dann muss sie sich eine andere Einstellung zu seinem Verhalten zulegen, eine, die sie selbst weniger kränkt. Wenn sie das nicht will, bleibt ihr nur die Trennung.
Warum ist die Unwahrheit so verletzend, und was ist Wahrheit?
Menschen gehen in aller Regel davon aus, dass das, was der andere sagt, richtig ist. Denn es gibt eine Art Urvertrauen in die Sprache, oder wie der Hirnforscher Ernst Pöppel sagt: »Wahrheit ist ein in die Sprache eingebautes Prinzip. Die Lüge eine späte Erfindung.« Was der andere uns mitteilt, überprüfen wir deshalb nicht andauernd auf seinen Wahrheitsgehalt. Wenn wir zu Menschen, Situationen, Eigenschaften einmal eine Meinung gefasst haben, behalten wir diese definierte Identität über die Zeit hinweg bei. Dies gilt insbesondere für eine Beziehung. Hier ziehen wir mit der Sprache einen gemeinsamen Rahmen auf, in dem wir uns bewegen: Wir erzählen uns etwas, vertrauen uns Geheimnisse an und gewähren dem anderen Einblick in die eigene verletzliche Psyche. Es entsteht ein Rahmen des Vertrauens.
Die Lüge bedeutet ein Heraustreten aus dem gemeinsamen Rahmen. Deswegen ist die Lüge gerade in der Beziehung so verletzend. Das gilt auch für Sibylle und Bernd, denn es wurde absolute Ehrlichkeit vereinbart. Diesen gemeinsamen »Ehrlichkeitsrahmen« hat Bernd verlassen, und deshalb ist Sibylle so verletzt.
Oft ist der Lügner sich der Lüge nicht bewusst
Aber was geht in einem Menschen vor, wenn er durch Lügen einen Verrat in der Beziehung begeht? Sicher spielen auf der ersten Ebene Faktoren wie Unsicherheit, Feigheit und Angst vor Konsequenzen eine Rolle. Aber dahinter steht eine ganz andere Frage, nämlich: Was ist Realität? In unserem Weltbild ist die Realität streng danach definiert, was nach außen sichtbar und beweisbar ist. Der Mann, Bernd, der mit seiner Frau heimlich nach Paris fährt, ist in den Augen der betrogenen Sibylle ein Lügner. Dabei bleibt aber außer Acht, dass es nicht nur die äußere Realität gibt – also das, was man sehen und beweisen kann –,
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