Sex ist verboten (German Edition)
Gedanken nicht weglaufen kannst.
Diese paar Worte füllten eine ganze Seite. Manchmal kritzelt er total, so als wäre er in großer Eile. Genau genommen kann man aus dem Dasgupta-Institut auch nicht weglaufen. Jedenfalls nicht so leicht. Sie geben einem das Handy und die Kreditkarten nicht zurück, ohne einen vorher mächtig durch die Mangel zu drehen. »Wenn Sie jetzt gehen, begeben Sie sich in Gefahr.« Ich habe gehört, wie Harper das gesagt hat. »Sie sind hergekommen, um Ihre Denkweise und Ihre Art zu leben zu ändern. Sie haben einen heiligen Eid geschworen, dass Sie die vollen zehn Tage bleiben würden. In diesem Glauben haben wir eine heikle Operation an ihren Denkmustern begonnen, eine Operation, bei der wir biszum Kern Ihres Wesens vordringen. Wenn Sie jetzt gehen, ist das so, als würden Sie mitten in einer Gehirn-OP aufstehen und weglaufen.«
Harper klingt sehr überzeugend, wenn er das sagt. Und es stimmt, dass man sich hier verändert, tief im Innern. Der Tagebuchschreiber spricht immer wieder von seinem GROSSEN DILEMMA . Er kann sich nicht auf seinen Atem konzentrieren. Er kann es noch nicht mal
wollen. Dein Leben hat zu nichts geführt. Eine falsche Entscheidung nach der anderen.
Er hasst sich selbst. LAUTER OFFENE BAUSTELLEN . Gigantische Großbuchstaben.
Ich blätterte die Seiten in beide Richtungen durch, konnte aber nicht herausfinden, worin das Dilemma bestand. Es gibt Passagen über eine Firma, die den Bach runtergeht, und über eine gewisse Susie, die ihr Talent wegwirft.
Spült es im Klo runter.
Und er spricht von zwei Personen, die er nur mit den Initialen T und L bezeichnet. L muss wohl seine Frau sein. Laura? Linda? Lucy?
Ich mag die Szenen, wenn jemand versucht, aus dem Dasgupta-Institut abzuhauen. Harper & Co. tun ihr Möglichstes, damit die anderen Meditierenden nichts merken, aber manchmal wird es richtig dramatisch. »Ihr seid doch hier alle reif für die Klapsmühle!« hat einmal einer mitten in der Stunde der Festen Entschlossenheit gebrüllt. Dann stand er auf und versetzte seinem Kissen einen Fußtritt. Wahnsinn. Manchmal denke ich, wenn alle Neulinge miteinander darüber sprechen könnten, wie schlecht es ihnen geht, weil sie den ganzen Tag im Schneidersitz verbringen müssen, ich meine, wenn es die Edle Stille nicht gäbe und alle es einfach laut herausschreien könnten: »Meine Knöchel bringen mich um, meine Knie bringen mich um, der Schmerz in meinen Oberschenkeln ist die reinste Folter, mein Rücken stehtin Flammen, meine Gedanken sind wie Rammböcke«, dann gäbe es womöglich eine Massenflucht und hundertvierzig Leute würden die Tür niederreißen, sich ihre Sachen schnappen und machen, dass sie wegkommen.
Wieso heitert mich diese Vorstellung auf? Manchmal summe ich grinsend und kichernd ein altes Lieblingslied:
The Kids Aren’t All Right. 2 Minutes to Midnight.
Aber warum? Ich bin hier nicht gefangen. Ich kann jederzeit gehen. Die Helfer schwören keinen Eid, dass sie bleiben werden. Wir sind aus freien Stücken hier. Manche bleiben nur übers Wochenende, um mit anzupacken und ein bisschen zu meditieren, oder sie kommen, wann immer sie freihaben, und gehen, wann sie wollen. Es gibt keinen Druck. Wir haben freien Zugang zu den Schließfächern, zu allem, was wir dort gelassen haben. In Wirklichkeit denke ich nicht ans Weggehen. Vielleicht ist das die Frage, die ich Mi Nu stellen könnte: Warum stelle ich mir so gerne Ärger vor, obwohl ich weiß, dass es mir besser geht, wenn alles ruhig ist?
Ich bin ungefähr fünfzehn Minuten in seinem Zimmer geblieben. Ich war zu nervös, um genau zu lesen. Wenn sie mich hier erwischen, werden sie mich mit Sicherheit auffordern zu gehen. Das ist mehr als ein Regelverstoß. Letzten Monat haben sie einen Typen gebeten zu gehen, nachdem er Harper erzählt hatte, dass er sich zu einer der Helferinnen hingezogen fühlte und gern mal mit ihr ausgehen würde, wenn das Retreat zu Ende war. Er hoffte, sie würde seine Frau werden. Noch am selben Tag musste er seine Sachen packen. »Sentimentale Sehnsüchte haben im Dasgupta-Institut nichts zu suchen«, erklärte ihm Harper. »Sehnsüchte« klang komisch, fand ich. Das Mädchen war Italienerin. Aurora. Toller Name. Als sie davon erfuhr, sagte sie: »Warum er muss erzählen Mr. Harper, wenn er will heiraten
mich
? So ein
Idiota
!« Wir haben tagelang gekichert.
Ich hätte mir eins der Hefte schnappen und verschwinden sollen. Oder gar nicht erst hingehen. Es ist dumm, solche Risiken
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