Sex ist verboten (German Edition)
plötzlich gut. Kaum hatte ich es allerdings bemerkt, war das Gefühl auch schon wieder weg. Alles Elend und alle Verwirrung waren wieder da. Aber einen Moment lang hatte ich es gespürt, und das gab mir Hoffnung. Später wurde mir klar, dass man sich selber nie sagen darf, man sei mit sich im Reinen. Das ist das Seltsame im Dasgupta-Institut. Man kann hier lernen, ruhig zu werden. Man vollzieht gewissermaßen die Ruhe. Man kann sich dazu bringen, heiter und sehr langsam zu werden, sodass man das Gefühl hat, man sei mit den Dingen um sich herum verbunden. Der eigene Körper
ist
das Kaninchen im Morgentau, oder die Maulbeerbäume draußen vor dem Saal, inderen Blättern der Wind raschelt. Ich kann es nicht erklären. Aber in dem Moment, wo man es merkt und sich gratuliert, verfliegt der Zauber und alle Probleme sind wieder da.
Oft, vor allem in der Anfangszeit, kam es mir so vor, als passiere diese Sache mit dem Verlust der Ruhe und der Ausgeglichenheit, auf die ich hingearbeitet hatte, immer zur Essenszeit. In der Meditationshalle, umgeben von hundertvierzig in Decken gehüllten Leuten, wo man still saß und ruhig atmete, konnte man in eine wortlose Trance versinken. Wo keine Worte sind, gibt es auch keine Entscheidungen, keine Namen, keine Pläne, keinen Schmerz. Selbst der Körper wird so durchlässig, als sei er aus Luft gemacht. Dann ist man glücklich. Nein. Glücklich ist falsch. Man ist gelöst, sorgenfrei. Man treibt in einem kühlen Fluss, und das Wasser trägt einen abwärts.
Dann ertönt der Gong und man muss essen. Man muss von seinem Kissen aufstehen, sich die Schuhe anziehen und zum Speisesaal gehen. Man muss entscheiden, was und wie viel man essen möchte. Man fängt an sich zu fragen, ob man sich lieber gleich bedienen will, wenn der Haferbrei noch knallheiß ist, oder später, wenn der Bananenmob seine Beute ergattert und sich verzogen hat. Man fängt an, die anderen zu beobachten, nachzudenken, zu kritisieren und abzuschätzen. Man will genügsam sein, tugendhaft, aber dann ist der Teller leer und man hat immer noch Hunger, nein, man hat größeren Hunger als vorher. Man holt sich eine zweite Schüssel Haferbrei, lädt sich den Teller mit Toast, Butterstückchen und löffelweise Marmelade voll und nimmt zwei Äpfel und zwei Apfelsinen. Während man sich vollstopft, denkt man an die Gelage nach den Konzerten, mit Bier und Biryani, Joints und Whisky. Dann sieht man sich zu viert im Bett irgendeines verlotterten Hotels oder Hostels. Doncaster. Dortmund. Oder zusammengedrängt in Schlafsäcken im Tourbus.Carl, Zoe, Frank.
Applaus für Frank Halliday am Schlagzeug!
Plötzlich erkennt man, wie friedlich man noch vor zehn Minuten auf seinem Kissen in der Halle gesessen hat, und dass dieser Frieden jetzt vollkommen verschwunden ist. Weg. Der Haferbrei ist vergiftet. Die Äpfel sind sauer.
Iss nichts, Beth. Hör auf zu essen.
Ich ließ Mahlzeiten aus. Nicht zu essen ist mir nie schwergefallen. Für mich ist es schwieriger, maßvoll zu essen, als ganz aufs Essen zu verzichten. Aber im Dasgupta-Institut muss man essen, ebenso wie man meditieren muss. Nicht zu essen ist nicht gestattet. Dieselben Dhamma-Mitarbeiter, die unsere Namen zu Beginn der Stunde der Festen Entschlossenheit abhaken, sind auch zur Stelle, um dafür zu sorgen, dass alle zum Essen gehen. Offiziell heißen sie Kursmanager, aber eigentlich managen sie nichts. Sie haben ihre Listen und ihre Klemmbretter. Man muss nach der Dasgupta-Methode meditieren, und man muss zu den vorgesehenen Zeiten das vorgesehene Essen zu sich nehmen. Vegetarisch. Um 6.30 und um 11 Uhr.
»Elisabeth.« Mrs. Harper nahm mich beiseite. »Sie haben nichts gegessen.«
Das war, ehe ich Service-Helferin wurde. Ich war seit ungefähr einem Monat da, saß in einem Retreat nach dem anderen. Schließlich sind sie kostenlos. Offenbar hatten sie gemerkt, dass ich ein Problemfall war.
»Ich esse zurzeit nicht. Ich möchte mich reinigen.«
Mrs. Harper lächelte. Sie war bestimmt. »Fasten ist im Dasgupta-Institut nicht erlaubt, Elisabeth. Sie müssen jetzt essen gehen.«
Und das war für sie das Ende des Gesprächs. Fasten ist nicht erlaubt, so steht es im Regelwerk des Instituts, also braucht man darüber nicht zu diskutieren. Wann immer man im Dasgupta Institut mit den maßgeblichen Leuten spricht, beenden sie das Gespräch schnell. Es ist nicht so, dass sie einem nicht helfen wollen. Es gibt eine ganze Reihe von Zeiten, zu denen man sie sprechen kann. Eines Tages, wenn
Weitere Kostenlose Bücher