Sex ist verboten (German Edition)
gedrängt, zu heiraten. Idiot.
Was ist aus dir geworden? Ein Wurm? Eine Schlange? Wie
ist das passiert?
Du bist hergekommen, damit du dich nicht umbringst.
Wie melodramatisch. Gähn.
Oder damit du sie nicht umbringst.
Leider unmöglich. Trotz all der Mordgeschichten.
Kristin war hereingekommen. Als ich aufblickte, schaute sie weg.
»Ich lese einen Brief.« Ich wedelte damit.
Im Dasgupta-Institut liest man keine Briefe. Nicht während eines Retreats. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass ein Brief eintrifft, wird er zurückgehalten, bis die zehn Tage um sind.
Kristin streckte sich auf dem Lattenrost ihres Bettes aus, legte den Kopf aufs Kissen und schloss die Augen. Ich hörte auf zu lesen und stützte mich auf einem Ellbogen ab. Sie ist größer als ich, und breiter, man denkt bei ihrem Anblick an Wörter wie stämmig, standhaft, stramm. Warum mag ich sie? Wir haben uns noch nicht einmal unterhalten.
»Fanng-gen Sie von vooor-nan!«, sagte ich und imitierte Dasguptas geführte Meditationen. »Mit einem ruuuhigen, sannften Gemüt.«
Sie verzog keine Miene.
Stumpfsinnig.
»Weiß dein Freund, dass du hier bist, Kristin?«
Sie gab keine Antwort.
Stur.
»Was war so komisch, als ich das mit dem jede Nacht einen draufmachen gesagt habe?«
Ihr Gesicht ist blass und ernst.
»Was hältst du von Altersunterschieden in Beziehungen? Ich meine, könntest du dir eine Beziehung mit jemandem in Harpers Alter vorstellen? Kommt das in Lettland oft vor? Ältere Männer können toll sein. Die haben mehr Geld.«
Nichts.
»Dieser Brief ist von meinem Vater. Er meint, ich versaue mir alles komplett, wenn ich hier bleibe. Ich werfe mein Leben weg. Er will, dass ich nach Hause komme. Er sagt, er liebt mich.« Ich lachte. »Stell dir vor.«
Nichts. Edle Stille.
»Wo wir gerade davon sprechen, ich hätte zu gerne eine Fußmassage. Wie wär’s? Ich mach dir eine und du mir, ja?«
Sie wusste, dass ich sie provozieren wollte. Anfassen ist im Dasgupta-Institut verboten. Ich fragte mich, ob sie mich wohl verpetzen würde. Nein. Meredith vielleicht, aber Kristin ist anders. Sie lag ganz still, auf dem Rücken, die Hände an den Seiten, Handflächen zur Decke.
»Seien Sie seehr aauuf-merksam.« Wieder imitierte ich Dasgupta und seufzte dabei tief. »Seehr achtsam. Seehr achtsam.«
Einer ihrer Mundwinkel verzog sich ganz leicht nach oben.
»Wachh und aauuf-merk-sam. Mit einem gellassenen, aussgegllichenen Geist.« Ich bemühte mich, seine tiefe indische Stimme zu imitieren. »Aussgegllichenen Geist, aussgegllichenen Geist, ausssgeglllich-chenen Geist.«
Ihre Augenlider zuckten. Sie lächelte.
»Wenn Sie spüren, wie subtile Empfindungen frei fließen, lassen Sie Ihren Geist frei durch Ihren ganzen Körper schweben. Wenn Sie eine schmerzende Stelle finden, machen Sie einen objektiven Vermerk. Schmerzen. Schmerzen. Nicht
meine
Schmerzen. Wenn Sie die kleine Maus spüren, die über Ihre Decke aufIhr Kinn zukrabbelt, machen Sie einen objektiven Vermerk. Maus. Maus. Nicht meine …«
»Nein!« Kristin saß senkrecht im Bett. Die Latten knarrten. »Wo?«
Lachend nahm ich meine schmutzige Wäsche, segnete sie und ging hinaus.
FESTE ENTSCHLOSSENHEIT
ICH MAG ES, WENN NASSE Baumwolle an meinen Fingern klebt. Ich stand neben einer der Meditierenden. Eine Chinesin. Wir wuschen unsere Wäsche in nebeneinanderliegenden Becken. Fünf Paar Hosen. Ich schaue gern zu, wie sie die Farbe wechseln, wenn man sie ins Wasser taucht. Von der Nässe werden sie dunkel, aber auch durchsichtig. Ich sehe das Rosa meiner Finger durch den Stoff. Die Chinesin wringt seufzend ihre Jeans aus. Manchmal gehen mir die Meditierenden auf die Nerven. Sie sind so stolz auf ihre tollen Meditationserlebnisse, auf ihre Schwüre und Visionen. Manchmal bin ich aber auch gern um sie herum. Ihr schweres Schweigen ist wie ein Sog. Es hat etwas Klebriges an sich, wie die nasse Baumwolle. Je mehr man nicht mit der Fremden neben sich redet, desto näher fühlt man sich ihr.
Ich würde eine Meditierende niemals so stören, wie ich Kristin bedrängt habe.
Ich schrubbe die Schrittnähte. Blau, rot, grün, weiß, schwarz. Fünf Paar plus die, die ich anhabe. Die Baumwolle dehnt und wellt sich. Die Flecken werden blasser, gehen aber nicht ganz raus. Sie kommen von meinem Körper. Von mir. Ich habe nie Kleidung mit der Hand gewaschen, ehe ich ins Dasgupta-Institut kam. Zu Hause verschwand alles, was schmutzig war, in dem Moment, in dem man es auf den Teppich warf. Mum hat zu
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