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Sex ist verboten (German Edition)

Sex ist verboten (German Edition)

Titel: Sex ist verboten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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zweckorientiert. Du musst dir die letzte Scheibe Toast sichern. Du musst einen Platz an der Wand ergattern. Ich möchte niemanden anschauen. Ich möchte mit niemandem teilen. Das Elend kehrt zurück, Beth ist wieder da. Jonathan ist wieder da. Alles ist wieder wie immer. Das Frühstück, die Toilette. Nach dem Kacken lege ich mich auf die Wiese und hoffe, dass die Glückseligkeit zurückkehrt. Ich liebe es zu kacken. Ich liebe den Geruch, und die Bewegung des Darms. Im Dasgupta-Institut haben alle weichen Stuhl. Ich mag es, mich danach abzuwischen und mir die Hose hochzuziehen. Jetzt wird die Glückseligkeit zurückkommen. Tut sie nicht. Ich liege auf der Wiese, aber ich könnte genauso gut wieder in den Dünen sein, neben dem Zelt, neben Carl. »Was ist los, Beth? Komm schon, wir sind im Urlaub.« Der Gong ertönt. Ich habe Carl Leid zugefügt. Ein großes Unrecht. Ich habe ihm erzählt, dass ich schwanger bin, um mich abzusichern. Es war nicht sein Kind. Der Gong ruft uns zurück in die Meditationshalle. Fang von vorn an. Und dann noch mal. Geh wieder in den Schneidersitz, Beth. Noch eine Stunde, noch zwei, noch drei Stunden der Hingabe. Arbeite fleißig, fleißig. Hinter geschlossenen Augenlidern werden Empfindungen zu Landschaften. Ich erkunde eine riesige braune Muschel, folge schmalen roten Pfaden kilometerweit über ausgedörrte Erde. Alles ist karg und wunderschön. Ich bewege mich auf roten Pfaden in einer sanft gerundeten Kugel. Ist es die Erdkruste, von innen betrachtet? Die Pfade kreuzen und trennen sich, kreuzen und trennen sich. Wo führen sie hin? Wo bin ich? Im Innern meines Schädels. Ich bin in meinem Schädel gefangen.
    Nach dem Abendvortrag kommen die Schüler nach vorne, um Fragen zu stellen. Einige von ihnen. Die Helfer meditierenweiter und warten auf das
mettā.
Es war ein langer Tag. Ich werde die Augen erst aufmachen, wenn er weg ist, wenn das
mettā
vorbei ist. Die Schüler stehen Schlange, um ihre Fragen vorzutragen. Die Männer bei Mr. Harper, die Frauen bei Mi Nu. Diejenigen, die Fragen haben. Die anderen sind gegangen. Sind erschöpft ins Bett gefallen. Die Fragenden in der Schlange knien nieder. Sie bringen ihre Kissen nach vorne und knien sich einer nach dem anderen vor ihren Lehrer hin.
    »Immer, wenn ich von
ānāpāna
zu
vipassanā
übergehe, bekomme ich plötzlich heftige Kopfschmerzen. Ist das normal?«
    »Ich verstehe nicht, wie es sein kann, dass es kein Ich gibt, wenn es die Wiedergeburt gibt. Was wird denn dann wiedergeboren?«
    »Was ist
paññā
? Warum ist es so wichtig?«
    »Wie kann ich meinen Rücken gerade halten? Ich sacke immer wieder zusammen.«
    »Warum dürfen wir das Gelände nicht zum Spazierengehen verlassen? Ich brauche Bewegung.«
    Ich höre, wie die Frauen ihre Fragen mit Flüsterstimme vorbringen. Meistens sind es jeden Abend dieselben. Manche Leute stellen Fragen, manche Leute nicht. Vielleicht wollen sie ein bisschen Aufmerksamkeit, so wie Kinder, die ihre Lehrerin umringen. Ich kann die Stimmen der Frauen verstehen. Manchmal auch die der Männer. Die Männer sprechen lauter.
    »Wenn es kein Ich gibt, wie kann es dann Moral und Strafe geben?«
    Mi Nus Antworten kann ich nicht hören. Manchmal frage ich mich, ob sie überhaupt antwortet. Vielleicht senkt sie nur den Kopf und lädt die Fragenden ein, sie anzuschauen. Harper höre ich allerdings. Er spricht peinlich laut. Man ist quasi gezwungen, zuzuhören. Er übertönt Mi Nu.
    »Was wiedergeboren wird, ist das angesammelte Karma, dieangesammelten
sankharas,
im Augenblick des Todes. Kein Ich, keine Persönlichkeit.«
    »Moral ist die natürliche Entfaltung von Ursache und Wirkung. Eine unheilsame Handlung erzeugt Leid, so sicher, wie ein Wagenrad im Sand Spuren hinterlässt.«
    Ich kenne die Antworten schon, ehe er sie ausspricht. Die Fragen sind immer die gleichen. Die Antworten stammen aus dem
Dasgupta-Handbuch für Lehrer.
Eine der Kursmanagerinnen hat es mir gezeigt. Es gibt ein Handbuch, und die Kursleiter müssen es auswendig lernen, damit jeder Lehrer in jedem Dasgupta-Institut auf der Welt immer die gleichen Antworten, die besten Antworten, auf immer die gleichen Fragen geben kann, die neue Schüler immer wieder stellen. Es ist schwer, sich eine neue Frage auszudenken, schwer, irgendetwas zu sagen, dass Harper zwingen könnte, selber zu denken. Ich frage mich, ob mein Tagebuchschreiber wohl nach vorne kommen und fragen wird: Würden Sie den Vortrag nicht lieber selbst halten, Mr. Harper? Wären Sie

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