Sex ist verboten (German Edition)

nicht lieber selber Guru und würden Dasgupta zum Teufel schicken? Plötzlich komme ich in Versuchung. Heute scheinen sich besonders viele Meditierende angestellt zu haben. Ich spüre es, wenn die Schlange lang ist. Ich gerate in Versuchung, die Augen zu öffnen, um zu sehen, ob er dabei ist.
    Eine Frau spricht mit vornehmer Stimme: »Ich erforsche meinen Körper, und alles läuft gut, bis ich zur Brust komme, dann gerate ich ins Stocken. Ich komme nie tiefer als bis zur Brust. Irgendetwas ist blockiert. Schließlich fange ich von vorne an, immer wieder und immer wieder, als wäre der Rest meines Körpers taub.«
    Ich lausche angestrengt auf Mi Nus Antwort. Ich frage mich, ob sie ebenfalls die Antworten aus dem Handbuch verwendet. Ihre Stimme ist leise und hat einen eigenartigen Rhythmus, wie ein Miauen, oder ein Gurgeln.
Ahniikkaaaa.
Ich höre das Wortin ihrer seltsamen Aussprache:
ahniikkaaaah, ahniikkaaaah.
Die Versuchung ist jetzt sehr groß. Was hätte es für einen Sinn, zu Mi Nu zu gehen und ihr eine Frage zu stellen, die sie aus dem Handbuch beantworten könnte? Warum geben sie uns nicht gleich das Handbuch zum Lesen? Warum stellen sie es nicht als PDF ins Netz, damit die Leute es lesen können, bevor sie herkommen? Ich sehe mich, wie ich die Augen öffne, um zu versuchen, von ihren Lippen zu lesen, ihren Gesichtsausdruck zu sehen, wenn sie antwortet. Ich bin sicher, ihr Gesicht ist voller Mitgefühl, aber zugleich teilnahmslos, auf diese asiatische Art, einfühlsam und gleichgültig, liebevoll und ungerührt. Ich sehe mich, wie ich die Augen öffne, aber ich öffne sie nicht. Es ist merkwürdig, hier zu sitzen und mich zu fragen, ob der Drang, die Augen zu öffnen, wohl siegen wird über die Anweisung, es nicht zu tun, die Anweisung, meine Augen geschlossen zu halten, bis alle Schüler gegangen sind. Ich sitze hier und frage mich, frage mich und beobachte meine geschlossenen Augen, die kurz davor sind, sich zu öffnen, aber noch geschlossen.
    ICH LIEBE DEINE HASELBRAUNEN AUGEN, BETH .
    Diese SMS habe ich monatelang behalten.
    Werde ich die Augen öffnen oder nicht? Wird das Etwas namens Beth Marriot, ein Körper aus subatomaren Teilchen,
kalapas,
der sich im ständigen Fluss befindet, in ständigem Wandel, ihre, oder seine, Augen öffnen, oder wird sie, oder es, das nicht tun?
    Ich weiß es nicht.
    Oder wird jemand anders meine Augen öffnen? Eine andere Beth. Die Beth, die im Entstehen ist. Jetzt. In dieser Sekunde. In dieser Sekunde. In dieser, in dieser, in dieser, in dieser. Ein Mann badet jeden Morgen in einem Fluss – Vortrag Tag fünf –, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass es jedes Mal ein anderer Fluss ist. Das Wasser vom Vortag ist verflossen. Ohne sich dar überim Klaren zu sein, dass er jedes Mal ein anderer Mann ist. Der entsteht und vergeht. Jede Zelle des Körpers entsteht und vergeht in jeder Sekunde. Werden meine Augen geöffnet werden? Werden es meine Augen sein, wenn sie geöffnet werden? Dieselben Augen, die Jonathan so liebte? Vielleicht ist mein Tagebuchschreiber in der Schlange. Vielleicht auch nicht. Ich spüre jetzt einen Schmerz im Rücken. Ein Messer, das zwischen meinen Schulterblättern steckt. Es ist kein Problem. Es ist nichts, verglichen mit dem Drang, meine Augen zu öffnen. Warum? Es muss eine Frage geben, die jenseits aller Fragen liegt. Wer entscheidet, wann meine Augen aufgehen? Ist das die Frage? Eine Frage, die sie zwingt, innezuhalten und nachzudenken, selber zu denken. Wie kann ich werden wie du, Mi Nu? Ist das die Frage? Wie können meine Augen deine Augen sein, aufgehen, wenn deine aufgehen, zugehen, wenn deine zugehen? Wie kann ich so rein werden wie du, so
sicher
wie du? Wie kann ich erreichen, dass die Zeit vergeht, ohne zu vergehen? Wenn ich eine Frage von der Männerseite höre und mir sicher bin, dass er es ist, werde ich die Augen öffnen. Ja, das werde ich tun. Aber warum? Das wäre doch gerade ein Grund, sie geschlossen zu lassen. Es wird keine Geschichte mit GH geben. Das habe ich entschieden. Und überhaupt, woher willst du wissen, dass er es ist, wenn du seine Stimme noch nie gehört hast? Für den Bruchteil einer Sekunde bin ich wieder in seinem Zimmer, in dem Augenblick, als sein Gesicht aus seinem Pullover auftauchte: ein kantiges, intelligentes Männergesicht. Er ist erstaunt, belustigt. Wie seine Stimme wohl klingt? Ich lausche mehr auf die Fragen der Männer als die der Frauen. Ich lausche auf die Stimme des Mannes, mit dem mich keine