Sex ist verboten (German Edition)
Bank; ich legte mich darauf und schaute in den Sternenhimmel.
Und inhalierte.
»Cher Jonathan, Je m’appelle Mariette. Je suis l’infirmière qui soigne votre amie, Elisabeth. Malheureusement, elle n’est pas sortie du coma. Je crains qu’elle puisse mourir à tout moment. Elle m’a dit de vous envoyer ce message, au cas où vous voudriez la voir avant qu’il ne soit trop tard.«
Bei der
vipassanā
-Meditation ist es so, dass man, wenn man einen Schmerz verspürt, zum Beispiel im Rücken oder in den Beinen, nicht davor zurückweicht, ihm nicht zu widerstehen versucht oder dagegen ankämpft, sondern sich auf ihn zubewegt, ganz sachte. Man richtet den Geist auf den Schmerz und erkundet die Hülle, in der er gefangen ist. So ist das mit Schmerzen. Sie sind unangenehme, verfestigte Empfindungen, die in ihren Hüllen eingeschlossen sind. In gewisser Weise ist die Hülle der Schmerz. Nichts fließt. Nichts bewegt sich. Der Schmerz ist Blockade, Stockung, Stillstand. Bestenfalls pocht er, trommelt inwütendem Rhythmus an die Wände seines Gefängnisses. Klopf klopf klopf. Oder wie eine Biene, die in einer Schachtel eingesperrt ist. Aber wenn man seinen Geist um den Schmerz herumfließen lässt, geduldig, still, aufmerksam, dann wird nach einer Weile – manchmal erst nach einer langen Weile – die Hülle weich und brüchig. Der Geist sickert ein, der Schmerz tritt aus. Die beiden vermischen sich wie Fluss und Meerwasser, Schmerz Wahrnehmung, Schmerz Wahrnehmung, Wahrnehmung Schmerz. Dann ist er plötzlich weg. Aller Schmerz löst sich in Geist, Wahrnehmung, Wohlgefühl und sogar Glück auf. Das ist mir im Dasgupta-Institut schon oft passiert. Aber nicht mit dem Erinnerungsschmerz. Da ist es umgekehrt. Wenn man die Hülle einer schmerzhaften Erinnerung aufbricht, dann schwirrt die Verletzung aus und sticht in alle Richtungen. Man dachte, es wäre eine Kleinigkeit, ein winziger Elendspickel. Und plötzlich hat sie den gesamten Geist mit ihrem Gift verseucht. Und alle anderen Schmerzen kehren ebenfalls heiß glühend zurück. Der ganze Körper brennt.
»
Chère Mariette, ici à New York il est deux heures du matin. Pourriez-vous m’envoyer le numéro de téléphone de l’hôpital? Je tiens à parler au médecin.
Jonathan.«
Eine Stunde später rief er an. Jedenfalls klingelte das Telefon. Es war eine private Nummer. Aber wer hätte es sonst sein sollen? Ich schaltete das Telefon aus und legte es zusammen mit meinem Portemonnaie und meinem iPod in den Schrank im Dasgupta-Institut. Dann ging ich hinein, um das Schweigegelübde abzulegen.
Es hat angefangen zu nieseln. Ich rauche unter Mi Nus Fenster. Es muss ungefähr Mitternacht sein. Und ich liebe den Rauch. Nein, wirklich, ich liebe ihn. Ich spüre, wie er in jeden gereinigten Winkel meiner meditativen Lungen kriecht, bis runterzum Zwerchfell, dann um den Brustkorb herum in die Achseln und hinauf bis in die Lungenspitzen, und schließlich überall in Hals und Kehle.
Vipassanā
hat mich gelehrt, besser zu rauchen! Ich spüre, wie der Rauch durch die Nasennebenhöhlen nach oben steigt und meinen transparenten Geist eintrübt. Wurde auch Zeit. Zu viel Transparenz ist zu viel. Nimm es an als Brandopfer, Mi Nu. Nimm meine Reinheit, in Rauch aufgegangen.
Was soll ich tun?
Mir wird jetzt klar, dass das die einzige ehrliche Frage ist, die ich ihr je stellen könnte. Was soll ich als Nächstes tun, Mi Nu? Welchen Weg soll ich einschlagen?
Das ist das Einzige, was ich wissen muss. Was erwartet mich jenseits von dieser Blockade?
Wer bin ich?
Eine Eule schrie. Wie schön das klang – uhuuu – in der Nacht. Ein spiritueller Klang. Aber es wurde langsam klamm. Mir wurde langsam klamm. Ich hatte meine Zigarette ausgehen lassen, ohne mir daran eine neue anzustecken. Zu blöd. Es brachte nichts, nur eine zu rauchen. Ich sollte sie mir alle reinziehen. Es hinter mich bringen. Was bringt einen dazu, monatelang die Regeln einzuhalten, die Regeln sogar durchzusetzen, die anderen auszuspionieren, sicherzustellen, dass sie nicht aus der Reihe tanzen, und dann plötzlich gegen jede erdenkliche Regel zu verstoßen, so offensichtlich, wie es nur geht, zu reden, zu küssen und zu rauchen? Als Nächstes ist das Bumsen dran. Wie kommt so etwas? Geh aufs Ganze, dachte ich. Tu’s.
»Ich liebe deine Skrupellosigkeit«, sagte Jonathan. Er hat es wohl tausend Mal gesagt. Es stimmte nicht. Er liebte es, wenn ich skrupellos
zu sein schien,
aber ohne je aufs Ganze zu gehen, ohne ihn je in
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