Sex ist verboten (German Edition)
hell und still. Ein vages Lächeln hebt ihre Mundwinkel an. Ich muss werden wie sie. Manchmal habe ich den Eindruck, sie schaukelt ein bisschen, ganz leicht, vor und zurück, so als wolle sie noch tiefer in die Stille und das Schweigen einsinken. Oder vielleicht bin ich es. Ich bin in Trance, wenn ich Mi Nu anschaue. Meine Augen sind halb geschlossen. Eine rauschhafte Zärtlichkeit wallt langsam in meiner Brust auf. Dann kann ich nicht mehr sagen, ob sie es ist, die ganz leicht schaukelt, oder ich. Wir sind aneinandergeheftet, so wie man seinen Blicknachts auf den Mond heftet, oder auf den endlosen Sternenhimmel, wenn man auf dem Rücken am Strand liegt. »Bist du mondsüchtig, oder was?«, fragte Carl. »Worüber denkst du nach, Beth? Mein Gott, sprich doch mit mir!«
Mein Blick ruht auf Mi Nu. Vergangen ist vergangen. Ich muss werden wie sie. Ich liebe ihr schwarzes Haar, das auf das cremeweiße Schultertuch fällt. Sie setzt sich ohne jedes Getue in Position. Die weiche weiße Wolle umhüllt sie und wird still. Ich mag es besonders, wenn sie ihr Haar zum Pferdeschwanz gebunden trägt. Ihre Haut und das Schultertuch verschmelzen miteinander und bekommen einen geisterhaften, sanften Schimmer. Die Luft ist ein Heiligenschein für Mi Nu. Sie ist ein Lichtkegel. Sie ist ein Kegel aus weißem Licht, sie konzentriert den Raum um ihre Stille. Aber jetzt hat bereits der Gesang begonnen. Nur noch fünf Minuten. Mi Nu hat mich eine volle Stunde lang an ihre Stille gefesselt. Ich habe kein bisschen gelitten oder gezappelt. Feste Entschlossenheit war gar nicht nötig. Meine Verehrung hat ausgereicht. Ihr Gesicht reagiert nicht auf die kehlige Stimme Dasguptas, die den Gesang eröffnet.
Buddham sarana gacchami.
Nicht die leiseste Regung. Das Lächeln schwebt hell und ruhig im Raum. Der Mond segelt in tiefer Stille durch die Zeit. Ich liebe Mi Nu Wai.
Dann ist die Aufnahme zu Ende, und mit einer einzigen Bewegung ist sie auf den Beinen. Das Tuch rutscht von ihrem Rücken. Mit einer einzigen schnellen und geschmeidigen Bewegung steht sie auf, wie eine Schlange, die sich in ihrem Korb aufrichtet. Keine Spur von Steifheit. Sie schaut sich um und grinst, ziemlich keck eigentlich, und wirft die schwarzen Haare zurück. Ach, ich bete sie an. Ich liebe ihre flache Brust. Ich will wie sie sein, will neben ihr sitzen, neben ihr essen, ihr gegenüber meditieren. Ich will auf der Bühne sein und mit ihr singen, meineHüfte gegen ihre prallen lassen. Ich will meine Tage haben, wenn sie ihre hat, dasselbe Bad benutzen, im selben Bett schlafen, meine Kleider mit ihr teilen. Ich will ihren Atem riechen und ihr die Haare hochbinden. Wer schert sich schon um kranke Männer und ihre Tagebücher? Wer braucht solche Geschichten von Leid und Elend? Mi Nu hat gar keine Geschichte. Sie ist ein Strom der Stille. Nicht wie die durchgeknallte Zoe, die Pillen schluckt und jede Menge Liebhaber hat. Trotzdem werfe ich beim Aufstehen einen Blick in Richtung der Männer. Ich kann es nicht lassen. Sie schütteln die steifen Beine, recken sich und stöhnen. Um auf diese Entfernung viel zu erkennen, bräuchte ich meine Brille. Ein Typ mit einem roten Halstuch. Der ist es nicht. Ein plumper Oldie hat sich einen Armsessel aus Kissen gebaut. Aber es sind siebzig Männer da drüben. Ich will den Blick nur auf Mi Nu richten, mein Leben lang.
DUKKHA
ICH MAG LÄRM UND ICH MAG STILLE . Ich habe mein Gehör durch Kopfhörer und Verstärker geschädigt. Ich vermisse mein Klavier, meine Gitarre, mein Wah-Wah. Allerdings nicht sehr. Eigentlich ist es mir egal, was ohne mich aus der Band wird. Ich habe für die Band alles aufgegeben, und dann habe ich für nichts die Band aufgegeben. Ich habe Carl aufgegeben. Ich bin nicht nach Hause zurückgegangen und habe mich auch nicht fürs College oder bei der Universität beworben. Ich habe mich nicht bei Jonathan gemeldet. Oder mir einen Job gesucht. Mögen alle Wesen frei von Anhaftungen sein. Mögen alle Wesen befreit werden. Du bildest dir gern ein, dass du Sachen vermisst, Beth Marriot, aber das stimmt gar nicht. Du vermisst nicht mal das Singen.
Kann das wahr sein?
Heute Morgen bin ich schon um vier Uhr aufgestanden. Ich war draußen, bevor die anderen aufwachten. Ich habe mich auf der Wiese hinter der Halle ins nasse Gras gelegt. Heute werde ich noch einmal in das Tagebuch schauen. Ich habe den Entschluss nicht wirklich gefasst, aber ich weiß, dass ich es tun werde. Etwa so, wie als du dachtest, du hättest aufgehört
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