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Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)

Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)

Titel: Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shereen El Feki
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sexuelle Fragen zu sprechen. So sprechen neue Teilnehmer zum Beispiel von min orali (hebräisch für »Oralsex«) und orgazma , statt die arabischen Ausdrücke dafür zu verwenden, jins fammii und nashwa jinsiyya . »Wenn man dieses Wort ohne Scheu aussprechen kann, dann ist das schon die halbe Miete«, sagt eine Frau, eine Sozialarbeiterin aus Haifa. »Wieso benutze ich für den Schwanz den hebräischen und nicht den arabischen Ausdruck? Das sagt doch etwas über meine Einstellung zu den Dingen aus.« 22
    Einige Teilnehmer haben nicht einmal diese Wahl, weil sie für viele der Gesprächsgegenstände die arabischen Bezeichnungen nicht kennen. Ein Teil des Namens von Muntada – Jensaney a –, der sich mit »Sexualität« übersetzen lässt, ist eine relativ neue Wortschöpfung, die von Sprechern des Arabischen kaum benutzt und manchmal auch gar nicht verstanden wird. Selbst grundlegendere Begriffe sind problematisch; erst in Muntadas Lehrgängen erfuhren einige Teilnehmer, dass es tatsächlich arabische Wörter für weibliche Genitalien gibt, da ihnen beigebracht worden war, diese Körperzone als so schambesetzt zu betrachten, dass sie nicht einmal benannt werden durfte. Und manche kennen nur die vulgären arabischen Wörter, die jenseits der Gosse unbrauchbar sind.
    Das alles ist weit entfernt von den Tagen der Enzyklopädie der Lust und dem Goldenen Zeitalter arabischer Schriften über Sex. Ein Buch aus dem 10. Jahrhundert, Die Sprache des Fickens , beispielsweise führt allein über tausend Verben für den Geschlechtsverkehr an. 23 Dann gibt es den scheinbar unerschöpflichen Wortschatz für sexuelle Stellungen, Reaktionen und Organe jeder Größe, Form und besonderer Kennzeichen. Dieser sprachliche Reichtum ist längst Vergangenheit. Muntadas Mission besteht unter anderem darin, Teilnehmern einen neuen Wortschatz an die Hand zu geben, mit dem sie offen über Sexualität sprechen und so das doppelte Hindernis des Unbehagens über das Thema und der Verlegenheit in puncto Sprache überwinden können. Die Tatsache, dass Arabisch gesprochen wird, stärkt die kulturelle – und, wie einige behaupten würden, auch die politische – Identität einer Minderheit in Israel.
    Die Zeiten ändern sich, und Muntada versucht inzwischen, auch Menschen in den Nachbarländern zu erreichen, wo lokale Gruppen ganz erpicht darauf sind, von den Erfahrungen der Organisation zu lernen. Muntada arbeitet weiterhin direkt im Westjordanland, wo die Organisation sexualpädagogische Kurse für Sozialarbeiter und andere Fachkräfte anbietet. Dort hat Tamish seit dem »Arabischen Frühling« eine dramatische Veränderung bei den Teilnehmern von Muntada-Kursen festgestellt: Ihre Scheu gegenüber sexuellen Dingen ist plötzlich verflogen. »Es ist, als hätte jeder Araber in sich so viele Schichten der Begrenzung und Hemmnisse, dass er, sobald er die äußeren Schichten, wie etwa das Politische, abstößt, das Gefühl hat, endlich einmal völlig frei durchatmen zu können«, bemerkt Tamish. »Das politische Engagement löste in ihnen das starke Verlangen aus, über ihre sexuelle Befreiung zu sprechen.« Und dies wiederum verstärkte ihren Drang, politische Anliegen anzupacken. »Meine sexuelle Freiheit beginnt mit meiner Familie«, erklärt sie. »Wenn ich die Schlacht gegen meinen Vater nicht gewinne, kann ich sie auch nicht gegen Abu Mazen [den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas] und gegen die Besatzungsmacht gewinnen.«
    Es ist dieser Zusammenhang zwischen dem Persönlichen und dem Politischen, der die Sexualerziehung zu mehr als nur einem Nebenschauplatz für den Wandel Ägyptens im kommenden Jahrzehnt macht. Das Unterdrücken von Fakten und Meinungen im Klassenzimmer ist eine Form der Zensur, die die Aufstände von 2011 im politischen Bereich bekämpfen wollten, um der Heimlichtuerei und der Kontrolle von Informationen ein Ende zu setzen – auch wenn klar ist, dass dieser Wandel in der nachfolgenden Ordnung eine Zeitlang auf sich warten lassen wird. Freiheit erfordert die Fähigkeit zu eigenständigem Denken, und dazu bedarf es einer anderen Sorte von Lehrer – Lehrer, die sich nicht scheuen, Wissen zu vermitteln und heikle Fragen zu beantworten. Sie verlangt auch eine andere Art von Schüler. Eine Sexualerziehung, die präzise Informationen liefert, persönliche Verantwortung fördert, Gegenseitigkeit lehrt, Gleichberechtigung stärkt, Vielfalt akzeptiert und freie Meinungsäußerung belohnt, ist sowohl für Schüler wie für

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