Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
anvertraut wurden. Ihr scheues, fast traumatisiertes Verhalten rührt von einem harten, unerbittlichen Leben her, und der härteste Schlag war die mitunter gewaltsame Zeugung ihres Kindes – durch sexuellen Missbrauch entweder in ihrer eigenen Familie oder durch ihren Arbeitgeber. 56
Die Einrichtung in Ain Sebaa ist ruhig und still, eine Welt entfernt von dem Leben, das die meisten dieser jungen Mütter gekannt haben. Sie leben mit ihren Kindern in Zweier- oder Dreiergruppen in nahegelegenen Wohnungen, die von SolFem organisiert werden, verbringen aber den ganzen Tag in der Einrichtung. Abgesehen von beruflichen Fertigkeiten lernen sie Lesen und Schreiben; für die Organisation arbeiten auch eine Sozialarbeiterin, eine Psychologin, ein Arzt und ein Jurist sowie Kinderpflegerinnen, die den Müttern beibringen, wie sie sich um ihre Kleinen kümmern sollen, was keine einfache Aufgabe ist. Als ich die Kinderkrippe besuchte, lösten meine Bemühungen, ein halbes Dutzend lockenköpfige Kleinkinder zu unterhalten, nur ein Heulkonzert aus. »Keine Sorge«, versicherte mir eine der Bediensteten. »Die Kinder sind scheu gegenüber Fremden. Die Mütter sind ängstlich, und sie geben diese Unsicherheit an die Kinder weiter. Wir versuchen ihnen zu helfen, das abzulegen.«
Nach einem Jahr ziehen Mütter, die etwas von ihrer Befangenheit abgelegt haben, mit ihren Kindern in eine andere Einrichtung im Zentrum von Casablanca, die ein Restaurant, eine Patisserie sowie eine Nähwerkstatt unter ihrem Dach vereint. Vor ein paar Jahren eröffnete die Organisation auch das Hammam, in dem ich Faiza kennenlernte; dort werden unverheiratete Mütter eines anderen Typs, der in wachsender Zahl an die Tür von SolFem klopft, zu Kosmetikerinnen und Maniküren ausgebildet: Studentinnen oder Hochschulabsolventinnen, die in den meisten Fällen mit dem Mann geschlafen haben, von dem sie glaubten, er würde sie heiraten, und die, kaum geschwängert, sitzengelassen wurden.
Trotz all ihrer Bemühungen erreichen SolFem, INSAF und die anderen NGOs nur einen Bruchteil der mehr als 25.000 unverheirateten Frauen, die jedes Jahr in Marokko Mütter werden. 57 Diejenigen, die nicht von einer dieser Organisationen unter die Fittiche genommen werden, haben es sehr viel schwerer. Da sie während ihrer Schwangerschaft nicht ärztlich betreut werden, kann es bei der Entbindung zu größeren Problemen kommen. Diejenigen, die es unter den Schutzschirm von NGOs schaffen, werden im Krankenhaus besser behandelt als Frauen, die auf sich gestellt sind und die die ganze Verachtung der Bediensteten zu spüren bekommen, ja sogar misshandelt werden.
Die Schwierigkeiten reißen nicht ab, erst recht nicht für jene unverheirateten Frauen, die ganz auf sich gestellt sind. Nach marokkanischem Gesetz wird außerehelicher Geschlechtsverkehr mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft, was in den letzten Jahren Anlass zu heftigen Diskussionen war. Aber die Polizei drückt bei Frauen, die sich in der Obhut einer der NGOs befinden, in der Regel ein Auge zu. INSAF, SolFem und ihre Schwesterorganisationen sind auch unentbehrlich, wenn es darum geht, Neugeborene amtlich registrieren zu lassen, was in Marokko genauso wichtig ist wie in Ägypten. Aufgrund von Gesetzesänderungen können unverheiratete Mütter heute Geburtsurkunden für ihre Kinder beantragen. 58 Auch wenn das Gesetz auf dem Papier geändert wurde, kann es äußerst schwierig sein, den gordischen Knoten des Amtsschimmels zu durchtrennen, der noch durch die obstruktive Einstellung von Beamten verschlimmert wird, die unverheiratete Mütter moralisch verurteilen – eine Situation, die so aussichtslos ist, dass sie im Gefolge der arabischen Aufstände eine alleinerziehende Mutter zur Selbstverbrennung trieb. 59
Nachdem Faiza diese Hürden genommen hatte, sah sie sich mit weiteren Hindernissen konfrontiert. Obwohl sie den Vater ihres Sohnes von dessen Geburt in Kenntnis setzte, weigerte dieser sich zunächst, das Kind anzuerkennen, was recht oft passiert, selbst dann, wenn sich Experten von SolFem einschalten. Die Versöhnung mit ihrer Familie dagegen lief viel reibungsloser, zur großen Erleichterung von Faiza: »Ein Mädchen mit einem solchen Problem vergisst ihre Eltern nicht. Das ist der große Fluch. Der Vater des Babys hat sich davongemacht; ein Mädchen in so einer Lage denkt viel an ihre Familie.« Laut den Sozialarbeitern von SolFem ist die Wiedereingliederung in die Familie eine der größten Veränderungen in der
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