Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
eleganten rot- und schwarzgesprenkelten silbernen Hijab eingerahmt wurde, sah sie mich an, als wäre ich auf den Kopf gefallen. »Nein«, sagte sie stirnrunzelnd. »Weil wir so arm sind.«
Samia ist eines von fünf Kindern – zwei Jungen und drei Mädchen. Die Familie lebt mitsamt den Großeltern in einer Dreizimmerwohnung in einer heruntergekommenen Gasse in Hawamdiyya. Ihr Vater ist Hausmeister, aber gut bezahlte Arbeit ist in der Stadt, wie im ganzen Land, nur schwer zu ergattern. Das Monatseinkommen der Familie, das sich hauptsächlich aus dem Lohn des Vaters zusammensetzt, beträgt etwa 700 EGP (90 Euro), hinzu kommen ein kleines Gemüsebeet und ein paar Hühner zur Selbstversorgung. Als daher vor ein paar Jahren an ihrer Haustür ein Mann mit einem »Bräutigam« für die neunzehnjährige Samia und 20.000 EGP auftauchte, nahm ihr Vater das Geld; Samia bekam 500 EGP, um sich ein paar Kleider zu kaufen. »Ich hatte Angst, weil es das erste Mal war. Ich wusste nicht, was mich erwartete«, sagte sie. »Es dauerte eine Woche, und er lebte mit mir in Kairo in einem Viertel namens Mohandeseen. Er interessierte sich die meiste Zeit für Sex. Nach einer Woche kehrte ich zu meiner Familie zurück, und er reiste ab. Als ich wieder zu Hause war, war ich traurig, weil sich etwas in mir verändert hatte, aber ich war auch glücklich, weil meine Familie Geld für ein ganzes Jahr hatte. Ich sprach mit meiner Mutter über das, was passiert war, aber mit meiner Schwester sprach ich nicht, weil ich nicht will, dass sie auch damit anfängt. [Jedenfalls] ist das Thema so heikel, dass wir nicht viel oder offen darüber reden.«
Mahmoud dagegen hat keine derartigen Gewissensbisse. Er ist ein simsar , was sich mit »Makler« übersetzen lässt. Tatsächlich ist Mahmoud Zuhälter. Er arbeitet mit Amir, der Anwalt ist, in einem heruntergekommenen Büro in einer verdreckten, von Müllhaufen gesäumten Seitenstraße in Kairo. Sie sehen aus wie aus dem Bilderbuch: beide in ihren Vierzigern, Mahmoud ist geschniegelt, er trägt eine Goldkette über dichtem Brusthaar, das aus einem Sportshirt mit offenem Kragen hervorschaut; Amir trägt ein makelloses graues Hemd mit einer schicken grünen Krawatte, an der Wand hängen seine Diplome, und über seinem Schreibtisch prangt eine riesige vergoldete Liste mit den 99 Namen Gottes.
Als ich mich, noch vor dem Aufstand, zum ersten Mal mit ihnen traf, hatte die weltweite Rezession die Geschäfte von Mahmoud und Amir noch nicht in Mitleidenschaft gezogen. Mahmoud und seine Maklerfreunde – Männer wie Frauen – arrangierten jährlich mindestens 2000 »Ehen«. Für die rechtlichen Formalitäten erhält Amir 1000 EGP (125 Euro) pro Verbindung; Mahmoud, der die Mädchen besorgt, die Wohnungen organisiert und ganz allgemein dafür sorgt, dass alles glattläuft, erhält 2000–3000 EGP. Solche Heiraten seien in den 1960er Jahren selten gewesen, sagt Mahmoud, aber tiefgreifende Veränderungen seit den 1970er Jahren – der Ölboom am Golf, die ägyptische infita h (Wirtschaftspolitik der offenen Tür), eine zunehmende Konsumorientierung sowie der Aufstieg des islamischen Konservatismus – brachten diesen religiös angehauchten Sextourismus hervor. Und seither hätten sich die Preise mehr als verdoppelt, sagt er.
Mahmoud ist für seinen Beruf ideal positioniert, da er mit einem Fuß in beiden Welten steht: Er wurde in Hawamdiyya geboren und kennt die Familien dort, aber jetzt arbeitet er als Fahrer in einem der großen Fünfsternehotels in Kairo, das berühmt ist für seine Aussichten und, so wird gemunkelt, für hafala t khassa – Privatpartys, die von reichen Gästen aus den Golfstaaten ausgerichtet werden und bei denen Wein und Frauen in großen Mengen konsumiert werden. Mahmoud setzte mir auseinander, wie seine Seite des Geschäfts funktioniert. »Ich kenne viele saudische Männer in dem Hotel, und sie wollen ägyptische Mädchen heiraten … manchmal für zehn Tage und manchmal für zwei Wochen. Es beginnt für gewöhnlich damit, dass ich einen Saudi am Flughafen abhole und er mich darum bittet, ihm eine Ehefrau, ein ›junges‹ Mädchen zu besorgen; manchmal bittet er mich um eine Jungfrau, aber das ist kostspieliger«, erzählte Mahmoud. »Ich kenne die Mädchen von ihren Eltern, die mir sagen, dass sie ihre Töchter verheiraten wollen. So kenne ich zum Beispiel [eine Familie mit] zwei Mädchen, die studieren, ihre Mutter ist eine Witwe, und sie brauchen Geld. Ich stellte ihnen den Bräutigam
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