Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
mit anderen Männern haben, im Nahen Osten und in Nordafrika einige Prozentpunkte der männlichen Bevölkerung, was den globalen Zahlen entspricht, auch wenn diese Raten in bestimmten Gruppen erheblich höher liegen, etwa bei Straßenkindern, Strafgefangenen oder Studenten, wo es oftmals schwieriger ist, Beziehungen zum anderen Geschlecht anzuknüpfen. 15
Wie auch in Bezug auf andere Aspekte der Sexualität in der arabischen Region erleichtert HIV den Zugang zu Informationen, da das öffentliche Gesundheitswesen zur Bekämpfung der Infektion auf verlässliche Daten angewiesen ist. Die Ergebnisse sind allerdings beunruhigend. In Ägypten zum Beispiel haben epidemiologische Untersuchungen in Kairo, Alexandria und Luxor an Männern, die Sex mit Männern haben, ergeben, dass etwa 6 Prozent von ihnen HIV-infiziert sind, womit diese Gruppe einen Spitzenplatz unter allen Bevölkerungsgruppen einnimmt; in anderen arabischen Ländern sind die Infektionsraten zum Teil noch deutlich höher. 16 Unterdessen sind Kondome und HIV-Tests bei Männern, die Sex mit Männern haben, in Ägypten und bei vielen seiner arabischen Nachbarn genauso unpopulär wie in der Allgemeinbevölkerung. Diese Erkenntnis ist ein Segen, hat sie doch die Behörden dazu veranlasst, im Namen der HIV-Prävention eine gewisse Betreuung dieser Zielgruppe durch NGOs zu erlauben (ähnlich wie im vorangehenden Kapitel für Sexarbeiterinnen), aber sie ist auch ein Fluch, da dieses umfangreiche Wissen über das Sexualleben einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ohne gleichwertige Erkenntnisse über den Rest der Bevölkerung mit dem Risiko verbunden ist, Männer, die Sex mit Männern haben, noch stärker zu marginalisieren und das ihnen anhaftende Image einer sexwütigen, krankheitsverseuchten Bedrohung für die Gesellschaft zu festigen.
Solche Stereotype sind nicht totzukriegen. In Ägypten gilt Homosexualität weithin als das Ergebnis eines Kindheitstraumas – sexuellen Missbrauchs oder gravierender Erziehungsfehler etwa. Es ist sehr schwer, unerschütterlich heterosexuelle Ägypter vom Gegenteil zu überzeugen. Nasim zum Beispiel fühlte sich von Kindesbeinen an zu Männern hingezogen. »Ich wusste schon mit sechs oder sieben Jahren, dass ich schwul bin«, sagte er. »Wir lebten im Irak. Das war in den Siebzigern. Männer trugen Koteletten und enge Hosen. Ich hab ihre Hosen immer bewundert.« Gängige Vorstellungen über die Entstehung von Homosexualität weist er zurück. »Ich habe viele Freunde, und sie alle sagen, sie wüssten es seit ihrer Kindheit. Keiner von uns wurde als Kind missbraucht.«
Munir wiederum entdeckte seine Liebe zu Männern etwas später im Leben. »Ich war 23, als ich schwul wurde. Ich hatte davor Beziehungen zu Frauen, viele.« Aber das Leben änderte sich nach einem intimen Kontakt mit einem Verwandten, mit dem er Mädchen aufreißen ging. »Eines Abends ist er plötzlich in meiner Wohnung, als ich gerade dusche. Er klopfte, und ich sagte: Komm rein. Er sagte mir: ›Es ist so heiß, ich will auch duschen.‹ Und dann war er angetörnt. Ich sagte zu ihm: ›Was ist los?‹«, erinnerte sich Munir. »Ich hasste das, was passierte, aber tief im Innern gefiel es mir. Ich mochte es, weil es total abgefahren war, es war ein irres Gefühl, und dann wollte ich es wieder mit ihm machen, um diesen Gefühlen auf den Grund zu gehen.«
Munir setzte seine Schilderung schmunzelnd fort. »Wir blieben zwei Jahre zusammen. Es gab in meinem Leben nur ihn. Wir haben es überall getrieben. Auf dem Dach, unter der Treppe, in meiner Wohnung, in seiner Wohnung, im Kino«, sagte er. »Wir liebten uns, nicht als Freunde oder Verwandte, sondern als Männer. Ich hatte nie Schuldgefühle, weil ich schwul war. Aus einem Grund: Weil ich es mit Liebe gemacht habe.«
Aber nur wenige Eltern lassen sich von solchen Argumenten überzeugen. Bei vielen Familien führt die Entdeckung der gleichgeschlechtlichen Aktivität eines Angehörigen dazu, dass man umgehend einen Arzttermin ausmacht, um zu sehen, was man dagegen unternehmen kann. In Anbetracht der Tatsache, dass die medizinischen Hochschulen in Ägypten schon die Grundlagen der Sexualmedizin nur ganz flüchtig behandeln, ganz zu schweigen von den komplexeren Aspekten der sexuellen Orientierung, ist der durchschnittliche Arzt mit diesen Fragen völlig überfordert. Meistens verschreibt er eine Runde Antidepressiva, begleitet von einer Standpauke über die Übel der Homosexualität.
Während religiöse Konversion in
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