Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
die Mitte des 20. Jahrhunderts in den Sprachgebrauch einging. 10 Ich wiederum gebrauche aufgrund meiner Arbeit mit der Zivilgesellschaft und den Vereinten Nationen die arabische Entsprechung des internationalen HIV/Aids-Jargons – »Männer, die Sex mit Männern haben«, was im Arabischen genauso umständlich klingt wie im Englischen. Es ist Teil einer Terminologie, die sich in den letzten gut zehn Jahren herausgebildet und Anleihen bei der internationalen LGBT-Bewegung ****** gemacht hat: mithli und mithliyya , maskuline und feminine Ableitungen von dem arabischen Wort für »gleich«, zur Bezeichnung von Männern und Frauen, die Beziehungen zu gleichgeschlechtlichen Personen haben; ghairi und ghairiya , von dem arabischen Wort für »verschieden«, für heterosexuelle Männer und Frauen; thuna’i und thuna’iyya , von dem Wort für »doppelt«, für männliche und weibliche Bisexuelle; mutahawwil und mutahawwila , von dem Wort für »verändern«, für Transsexuelle und Transgender. In Ägypten sind diese Ausdrücke noch immer überwiegend auf einschlägige Kreise beschränkt, und meiner Erfahrung nach rufen andere Wörter als shadh nach wie vor perplexe Blicke oder Gelächter hervor.
Aber »gay« ist nicht nach jedermanns Geschmack. In dem Klub schilderte mir Anwar, ein Künstler, seine Karriere; er hetzt zwischen Auftritten und Projekten in Kairo, Paris und Amsterdam hin und her. Ich ging naiverweise davon aus, dass das Leben als homosexueller Mann für ihn in Europa leichter sein müsse, aber seine Erfahrung sagt anderes. »Ich finde es hier befreiender. Ich hab mich geoutet – meine Eltern und meine Kollegen wissen, dass ich Männer mag. In Europa wird meine Kunst nur als ›gay art‹ gesehen. Hier dagegen bin ich ein Künstler, der zufälligerweise auf Männer steht. Ich werde nicht in der gleichen Weise in eine Schublade gesteckt.«
Im ahwa fühlte sich Hisham, einer von Munirs Freunden, in ähnlicher Weise durch das Wort »gay« eingeschränkt. Auf den ersten Blick ist Hisham ein Inbegriff bürgerlicher Wohlanständigkeit – seit fünfzehn Jahren verheiratet, zwei Kinder und ein sicherer Arbeitsplatz im konjunkturresistenten Klimaanlagen-Geschäft. Aber er hat auch Sex mit Männern, längere Beziehungen, die Monate oder Jahre dauern – in einem Fall mit jemandem, der später eine seiner Cousinen heiratete. Für Hisham bedeutet »schwul sein« eine Vollzeitbeschäftigung, wobei Sex im Mittelpunkt steht, während seine Beziehungen zu anderen Männern für ihn »ein kleiner Winkel unseres Lebens« sind, »etwas, wohin man gehen kann oder auch nicht, ohne davon besessen zu sein«. Er hält seine gesellschaftlichen Welten getrennt. »Meine Frau weiß nichts; die Nachbarn wissen nichts. Ich bin bei der Arbeit oder zu Hause anders, wie wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin«, sagte er mir, wobei er stolz hinzufügte: »Sehen Sie mich an – ich habe einen Schnurrbart, ich bin männlich.« Wörter wie »schwul« oder »bisexuell« sagen ihm einfach nichts. Es ist nicht so, dass Hisham nicht wüsste, was damit gemeint ist – durch Munir beispielsweise weiß er ganz genau, wie die »schwule Szene« in Ägypten und im Ausland aussieht –, er hält nur nichts von solchen Etiketten. Ja, er führt ein Doppelleben, aber er hält das für völlig normal, ganz egal, mit welchem Geschlecht man ins Bett steigt; für ihn sind das verschiedene Facetten der Lust, keine Einschränkungen.
Nasim, Munir und ihre Freunde stehen für ein winziges kosmopolitisches Fragment des gleichgeschlechtlichen Begehrens in der endlosen Weite Ägyptens. Aber die Art, wie sie sich selbst und ihre Sexualität sehen, vermittelt uns einen flüchtigen Eindruck davon, auf welch vielfältige Weise die heterosexuelle Norm in der arabischen Welt des 21. Jahrhunderts gesprengt wird. Diese Vielfalt hat auch historische Ursachen. Wenn diese Männer über ihr Sexleben sprechen, hört es sich, ungeachtet ihres modernen Gebarens, manchmal an wie eine Seite aus den großen Büchern der arabischen Liebeskunst, wie etwa Ein Spaziergang der Herzen in dem, was in keinem Buch zu finden ist . 11 Dessen Verfasser, Ahmad ibn Yusuf al-Tifashi, war ein tunesischer Gelehrter, der vor 900 Jahren in Kairo lebte.
Nasim erinnert in vielerlei Hinsicht an die la’ita (Sodomiten) in al-Tifashis Beschreibung – einen Mann, durchaus betucht und von großer Kultiviertheit, der junge Männer mit leidenschaftlicher Sehnsucht liebt, manchmal wegen ihrer Jugend und
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