Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
Schönheit und manchmal wegen ihrer intellektuellen Gesellschaft, manchmal platonisch und manchmal für das Vergnügen zahlend. Munir mit seinem geschmeidigen Gang und seinen klimpernden Wimpern ist nachgerade ein Wiedergänger der bartlosen jungen Männer, die durch al-Tifashis Seiten schwirren. Hishams Stolz auf seine kraftvolle Männlichkeit erinnert an die Einstellung zu aktiver und passiver Homosexualität im Wandel der Zeiten, wie sie sich auch in der Reaktion von Nasims Vater auf die Enthüllung seines Sohnes widerspiegelt. »Ich sagte, ›Papa, ich werde niemals heiraten. Ich liebe Männer‹«, erinnerte sich Nasim. »Mein Vater, der Professor ist, sagte: ›Okay, aber du darfst es nie deiner Mutter sagen.‹ Und dann begann er mir Fragen zu stellen. ›Wie hast du Sex?‹ Bis zu diesem Zeitpunkt war ich noch nie negativ [passiv] gewesen, also sagte ich ihm das. Und er sagte: ›Ach so, dann bist du ja gar nicht homo !‹« 12
Es ist nicht alles reine Freude in al-Tifashis Buch. Ungeachtet all der erheiternden Anekdoten hat seine Schilderung von Männern, die Sex mit Männern haben, auch eine dunkle Seite. Nasims weniger privilegierte Vorgänger brauchten angeblich eine dicke Haut, um die Auspeitschung zu überleben, sollten sie wegen ihres Treibens vor den Kadi gezerrt werden, und sie liefen Gefahr, von Zufallsbekanntschaften bis aufs Hemd ausgeraubt und zusammengeschlagen zu werden – die gleichen Befürchtungen, die Nasim äußerte. Auch einige ihrer eigenen damaligen Aktivitäten, etwa das »Auflauern«, im Grunde die heimliche Vergewaltigung von Epheben, sind keinesfalls mit heutigen Menschenrechtsstandards vereinbar.
Diese Geschichte der Homosexualität in der arabischen Welt ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Nasim zum Beispiel, der unglaublich belesen ist, kannte al-Tifashi und die vielen anderen arabischen Autoren nicht, die sich über die Jahrhunderte mit dem Thema gleichgeschlechtlicher Beziehungen befasst haben. 13 »Was, es gibt mehr als Abu Nuwas?«, fragte er mich, wobei er auf den berühmten Dichter Bezug nahm, der im Bagdad des 8. und 9. Jahrhunderts die Sexualität in all ihren Formen rühmte. Als die arabische Sexualgeschichte im Verlauf der letzten hundert Jahre umgeschrieben wurde, kehrte man die Homosexualität unter den Teppich, und das so erfolgreich, dass die heutige Intoleranz als die authentische Stimme der Tradition gilt, während sie (wie in vielen anderen Regionen des Globalen Südens) wohl eher ein Nachhall der europäischen Kolonialherren in der Region ist und in der Praxis zweifellos weniger Nachsicht zeigt als zu anderen Zeiten ihrer Geschichte.
Mit einer Person des gleichen Geschlechts ins Bett zu gehen scheint heute viel komplizierter zu sein als zu al-Tifashis Zeiten, da es nicht mehr nur eine Frage des persönlichen Vergnügens, sondern auch der Geopolitik ist. Einstellungen zu homosexuellen Männern und Frauen waren lange Zeit ein Lackmustest, der die »Kultivierten« von den »Rückständigen« unterschied, auch wenn Toleranz und Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen im Lauf der Jahrhunderte zwischen Ost und West hin- und herpendelten. Die gesellschaftliche und auch rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen ist in den letzten Jahren ein Kennzeichen liberaler Demokratien geworden – und daher ist die Frage, wie Ägypten und seine im Umbruch befindlichen Nachbarn mit den Rechten von Bürgern umgehen, die von der heterosexuellen Norm abweichen, politisch brisant. Seit langem ein Symbol der Spaltung zwischen Europa und Amerika einerseits und der arabischen Welt andererseits, wurde Homosexualität sogar in den Konflikt zwischen Palästina und Israel hineingezogen. 14
Wegen dieses starken internationalen Interesses wird das Intimleben von Männern, die Sex mit Männern haben, in Ägypten und vielen seiner arabischen Nachbarstaaten gründlicher erforscht als das praktisch jeder anderen gesellschaftlichen Gruppe. Amtliche Erhebungen, NGO-Berichte, Doktorarbeiten und populärwissenschaftliche Bücher bringen Licht in gleichgeschlechtliche Lebensweisen: in Zahlen (einschließlich Schätzungen des prozentualen Anteils an der Bevölkerung), bezüglich der konkreten Details des Sexualverhaltens (wie oft, mit wem, in welchen Stellungen und für wie viel) und hinsichtlich des Selbstverständnisses dieser Männer und ihrer sozialen Beziehungen jenseits des Schlafzimmers. Nach einigen sehr groben Schätzungen beträgt der Anteil der Männer, die Sex
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