Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
wenn die Zeit reif ist, werden sie gut positioniert sein, um ihre Botschaft in den umfassenderen Diskurs gesellschaftlichen und politischen Wandels einzubringen.
Trotz all dieser willkommenen Schritte schätzen weder Munir noch Nasim die kurzfristigen Aussichten optimistisch ein. Für Munir ist persönliche Sicherheit ein zentrales Anliegen. »Wir fürchten uns jetzt voreinander, nicht mehr nur vor der Regierung. So habe ich zum Beispiel Angst, um zwei Uhr nachts durch die Straßen zu gehen; jemand kann mich mit einer Waffe bedrohen. Es geht nicht bloß darum, dass ich schwul bin, es geht darum, dass ich Ägypter bin.« Als einer von Millionen, die keine Festanstellung haben, ist Munir der Meinung, dass es sich hauptsächlich um ein wirtschaftliches Problem handelt, das Männer und Frauen in Klassen spaltet und sie gegeneinander aufbringt – eine weitere Spannung in einer zersplitterten Gesellschaft. »In der Revolution standen Reich und Arm zusammen, mehr als Sie sich vorstellen können«, erinnerte er sich. »Heute ist da eine Kluft, wenn einer Tag und Nacht auf der Straße unterwegs ist und sich verkauft, nur um etwas zu essen und zu trinken zu haben, während ein anderer Schwuler wie ein König lebt. Wenn sich die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse verbessern, wird es keine Probleme mehr geben, es wird keine Leute mehr geben, die mit einem Reichen nach Hause gehen, um ihn umzubringen und sein Geld zu stehlen. Wenn ich zu essen und zu trinken habe und ein produktives Leben führe, weshalb sollte ich dann zum Mörder werden? Weshalb sollte ich stehlen?«
Als Angehöriger zweier Minderheiten – Christen und Schwule – konzentriert sich Nasim auf die lauter werdende Stimme und zunehmende politische Macht der Islamisten. »Es waren schwere Zeiten vor der Revolution … Diebstahl und Korruption grassierten. Es war furchtbar für LGBT; es war furchtbar für alle«, sagte er. Unmittelbar nach der Erhebung konnte man durchatmen, aber Nasim wappnete sich für ein hartes Durchgreifen, falls die Islamisten ihre Machtposition festigten. Als eingefleischter Optimist ist er jedoch davon überzeugt, dass diese Phase einer reaktionären Politik vorübergehen wird. »Es wird fünf, zehn oder zwanzig Jahre dauern. Wir werden eine muslimische Herrschaft, einen islamischen Staat haben. Aber wenn die Menschen unter dieser Herrschaft leben und merken, dass sie um ihre Rechte betrogen werden, wird es eine weitere Revolution geben, in der sich ein gemäßigter Islam und ein säkularer Staat durchsetzen werden.«
Langfristig sind sowohl Munir als auch Nasim zuversichtlich, dass bessere Zeiten kommen werden. Nasim, der früher einmal daran dachte auszuwandern, hat beschlossen zu bleiben. Sein Kontakt zu seinen Schülern stimmt ihn hoffnungsvoll, dass eine jüngere Generation mit besserer Bildung und besseren Chancen eines Tages mithelfen wird, dass seine Wünsche nach Veränderung wahr werden: »Erstens, dass Menschen keine Angst mehr haben, sich zu outen. Dass das Privatleben wirklich privat ist, kein Auswahlkriterium bei Freundschaften oder beruflichen Beziehungen. Dass es eine Straftat ist, jemanden wegen seines Privatlebens anzugreifen. Und die Religion wird Brücken zwischen den Menschen bauen und denjenigen, die homosexuell sind, Frieden bringen. Man wird sagen: ›Gut, du bist so – wir lieben dich trotzdem.‹«
Aber das ist eine Arbeit für Jahrzehnte. »In meinem kurzen Leben erwarte ich keine historischen Umbrüche. Vielleicht werde ich diese Veränderung nicht mehr erleben«, meinte Nasim seufzend. Munir setzt in ähnlicher Weise auf langfristigen Wandel. Angesichts all dessen, was er durchgemacht hat, hat er allen Grund, sich einen Bruch mit der Vergangenheit zu wünschen. Aber für Munir bedeutet dieser Wandel auch, sich von einem westlichen Weg der Schwulenbefreiung abzusetzen. »Ich will meine Rechte, aber nur im Rahmen der ägyptischen und orientalischen Gesellschaft und des Islam. Es kommt darauf an, Demokratie oder Freiheit nicht falsch zu verstehen. Einen Mann in aller Öffentlichkeit küssen? Nein, das hier ist ein islamisches Land«, betonte er. »Ich als Schwuler will das nicht sehen. Ich will Veränderungen, aber innerhalb der Grenzen, denen man als Muslim, Ägypter und Konservativer unterliegt. Wenn ich mich für Gay Pride einsetze, was fordere ich dann eigentlich?«
Munir sprach für viele, die sich heute für die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten in Ägypten und darüber hinaus
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